
das Baltikum ist ein unentdecktes Land, mitten in Europa –
zumindest für mich. Seit einigen Jahren schon möchte ich es kennenlernen – aber
meistens fällt mir das erst im Herbst wieder ein. Und ein Wintertrip in den
Norden reizt mich nun gar nicht. Dieses Jahr kam mir die Idee früher und so
starteten Jimmy, Torben, Alex und ich bereits im Juni in das Land der Esten.
Jeder von uns hatte eine andere Reiseroute gewählt.

Meine sah vor, von
Frankfurt nach Tallinn zu fliegen. Da Deutschland inzwischen über Fernreisebusse
verfügt, die sich derzeit mit unerhört
niedrigen Preisen um das Business
prügeln, entschied ich mich, Freitagmorgen mit dem Fernbus von München direkt
zum Frankfurter Flughafen zu fahren. Der Bus war nahezu leer und so hatte ich

Platz,
am Notebook Spanisch zu lernen, über dem
Notebook einzuschlummern, und
60km vor Stuttgart durch eine Durchsage des Fahrers aufzuwachen, welcher
bekannt gab, dass wir aufgrund mehrerer Staus versuchen werden, über die B10
nach Stuttgart zu gelangen. Wieso Stuttgart? Nix war’s mit Direktbus. Und so
kämpfte sich der Fernbus an schwäbischen Hausfrauen vorbei mit anderen LKW, die
ebenfalls die glorreiche Idee hatten, den Stau zu umgehen, durch das
schwäbische Hinterland – von roter Ampel zu roter Ampel, von Zebrastreifen zu
Zebrastreifen, von Kreuzung zu Kreuzung. Ich sag nur: Blumen pflücken während
der Fahrt verboten!

Wir erreichten Stuttgart mit einer geringen Verspätung von
45 Minuten. Da aber auf der A8 weiterhin Stau angekündigt war – kein Wunder auf
der Königin der Baustellen –entschied sich der Troglodyt von einem Fahrer den
Stau über die A81, und damit über die Innenstadt von Stuttgart zu umgehen.
Großartige Idee. Lange Rede, kurzer Sinn. Der Bus kam um 18.15 am Frankfurter
Flughafen an – mein Flug ging um 18.30. Auch wenn mir klar war, dass ich meinen
Flug verpassen würde, flitze ich über Terminal 1 in den Skytrain zu Terminal 2
und hin zum Check-In Schalter.

Vielleicht hatte der Flug ja einiges an
Verspätung. Ja, scheiße. Wie erwartet, aber nicht gehofft, war der Schalter
bereits geschlossen und der Flieger weg. Ich ging zum Airline-Schalter, um zu
erfragen, auf wann ich den Flug umbuchen könnte. Und schon wieder merkte ich,
wie ich meine Hand sprichwörtlich im Abort versenkte: Der Flug war
non-refundable, non-changeable.
Also
neu buchen. Ich setzte mich ans Flughafen-WLAN,
um einen neuen Flug zu buchen,
als mich Alex anrief. Das verwunderte mich etwas, da sie eigentlich im Flieger
nach Tallinn sitzen sollte. Aber sie hatte den Flug ebenso verpaßt – im
Gegensatz zu ihrem Gepäck. Aufgrund einer Schlägerei wegen zu langsamen
Sicherheitskontrollen war sie zu spät zum Boarding erschienen, ebenso wie 7
andere Passagiere. Immerhin wurde sie kostenlos auf den Flug einen Tag später
umgebucht. Und so setzten wir uns zusammen in den Zug zu ihr nach Mannheim und
quatschten über die letzten paar Monate, die wir uns nicht gesehen hatten.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir zurück nach
Frankfurt und – oh Wunder – alle Passagiere, die am Tag zuvor den Flieger
verpasst hatten, waren schon mindestens 3 Stunden

vor Abflug am Schalter. Heute
ging alles glatt und natürlich (Murphy-Prinzip) viel schneller als jemals
zuvor, so dass wir fast 2 Stunden vor Abflug schon am Gate saßen. Das Flugzeug war
eine Turpoprop-Maschine und so eng, dass ich meinen Hamburger Sitznachbarn weit
näher kennenlernte, als ich es jemals gewünscht hätte. Aber der Anflug auf Riga
war schon toll. Sonnenuntergang mit herrlichen Farben über der Nehrung vor der
Stadt. Wir steigen um in eine Boing 737 und da wir nun weiter nach Norden
flogen, hielt dieser atemberaubende Sonnenuntergang an, bis wir um Mitternacht
endlich unser Ziel erreicht hatten: Tallinn.

Das Taxi brachte uns zur gewünschten Adresse, nur fanden wir
das Hostel nicht. Es war auf keiner Etage des Hauses mit der im Internet
gefundenen Postadresse. Endlich fanden wir ein Schild. Dem folgten wir über
einen Parkplatz, durch ein geschlossenes Gartentor und in einen Kellereingang,
wo uns dann glücklicherweise ein russisches Mädel entgegen kam, die allem
Anschein nach zum Hostel gehörte. Das Hostel liegt in einem Keller ohne
Sonnenlicht, war aber überaus sauber und praktisch eingerichtet.

Nachdem wir
uns vergewissert hatten, dass es Torben und Jimmy auch nach Tallinn geschafft
hatten, schliefen wir den Schlaf der Gerechten.
Am Sonntag klingelte mein Wecker viel zu früh.
Wir hatten
uns um 8.30 zum Frühstück verabredet, um zu besprechen, wie wir die Baltikumtour
wegen des „fehlenden Tages“ umbauen würden. Und dazu musste ich mir noch
einiges anlesen.

Glücklicherweise gab es WLAN, da Estland einen freien
Internetzugang für jedermann sogar in der Verfassung des Landes verankert
hatte. Drei schwarze Tees später weckte ich die anderen gegen 9:00, da mir
inzwischen langweilig geworden war. Wir verabredeten, an der Tour nichts zu
ändern. Und während Jimmy und Alex frühstückten, holten Torben und ich unser
Töfftöff vom nahe gelegenen Busbahnhof ab. Torben führte uns sicher durch
mehrere Schleichwege – anscheinend hatte er gestern die Stadt allein schon sehr
ausführlich erkundet. Am Busbahnhof erwartete uns einer der Leningrad Cowboy an
einem litauischen VW Polo, der für die nächsten 10 Tage unser Zuhause sein
sollte. Die Übergabe war sehr lässig – hoffentlich wird es auch die Rückgabe
sein.

Torben führte dann Alex und mich zu einem kurzen
Stadtrundgang in die Altstadt von Tallinn. Tallinn ist als vom
Schwertbrüderorden aufgebaute Hansestadt eher mittelalterlich geprägt. Etwa die
Hälfte der alten Stadtmauer mit nahezu allen Türmen steht noch. Die Häuer
stammen zwar größtenteils noch aus der ersten Hälfte des 20. Jhd., aber hier
und da stehen noch prachtvolle Gilde- und Kaufmannshäuser der Hansezeit.
Davor
spielen Esten in Tracht Blockflöte oder bieten Geschmeide feil, um die durch
die Gassen getriebenen Kreuzfahrttagesgäste zu belustigen.

Wir stiegen auf
einen hohen Kirchturm, um den Ausblick auf die Stadt zu genießen. Von hier oben
waren auch die architektonischen Bausünden der Sowjetzeit zu betrachten. Die
Linnahall zum Beispiel ist ein vor sich hin rottender Betonklotz von der Größe
des Alexanderplatzes, der einmal „Lenin-Kulturhalle“ hieß und nun den Weg
zwischen Hafen und Altstadt verschandelt. Aber auch auf den Domberg mit seiner
russischen Basilika mit seinen Zwiebeltürmen und den alten Burgmauern ist schön
zu sehen. An der Stadtmauer entlang sahen wir uns die Ergüsse des Blumenfestes
an, bevor wir den Domberg bestiegen und über den Rathausplatz wieder zurück zum
Auto gingen.

Am frühen Nachmittag dann waren wir startklar. Wie ein
Wunder passte das gesamte Gepäck in den Kofferraum und schon ging es los in
Richtung Osten – an irgendwie merkwürdig klingenden Ortschaften wie ???, ???
und ??? vorbei in den 80km entfernt gelegenen Nationalpark Lahemaa. Wir hatten
vor zu wandern. Allerdings schüttete sich gerade ein mittlerer Atlantik über
uns aus, so dass wir erst einmal zum Besucherzentrum des

NP im alten Gutshof
von Palmse führen. Dort hatte wohl auch keiner Lust auf Regen, denn er war
geschlossen. Also fuhren wir weiter – nach Käsmu, welches als Dorf der Kapitäne
bekannt ist. Von den ca. 500 Einwohnern des Dorfes waren zwischenzeitlich bis
zu 120 Kapitäne und ca. ein Drittel aller estnischen Schiffe sind auf dieses
kleine Nest zugelassen. Es gibt auch ein kleines Museum über Seeschifffahrt,

das wir besuchten.
Stellt euch das Museum wie den Fundus der WDR-Sendung „Das
Dings vom Dach“ vor. Es ist vollgestopft mit lustigen Geräten, aus deren
Verwendung man ohne Hilfe nicht kommt: Haken zum Seehundjagen, Handschuhe zum
Segelflicken, Glaskugelbojen, faltbare Schöpfeiner und vieles mehr.
Jetzt brach
die Sonne wieder durch die Wolken und

tauchte die Ostseeküste in herrliches
Licht, so dass wir beschlossen, die Nacht über hier zu bleiben. Wir fanden in
einem benachbarten Haus ein Apartment mit Küche am Kiefernwald und so gingen
wir zuerst einkaufen.
Dann fuhren wir noch zum Gutshof Oando. Hier beschrieb
der Reiseführer einen schönen Altholzpfad von 5km Länge. Wir hätten lieber
Grillfleisch kaufen sollen, den der Pfad begann an einem wunderschönen
Grillplatz am Bach, mitten in ursprünglicher Natur. Der Pfad führte uns durch
ein früher gesperrtes Gebiet des Nationalparks.
Dementsprechend gab es viel
Totholz, welches langsam vom

Wald wieder überwuchert wurde.
Alle paar 100m
stand eine Schautafel, die uns über das besondere Gelänge (Schubrinne der
letzten Eiszeit, Bärenschubberbäume etc.) aufklärte. Der Weg war auf Planken durch
den Wald angelegt, so dass man nicht in Versuchung gerät, den Weg zu verlassen.
Neben Unmengen an (leider noch nicht tragenden) Blaubeeren, sahen wir viele
Frösche, Schwarzspechte, Kratzbäume von Elchen und Bären und einen
Kreuzschnabel, der ein Eichhörnchen von seinem Baum vertreiben wollte (aber
erfolglos).
Zurück in der Unterkunft gab es lecker Nudeln mit Tomatensoße und
zur Feier des Abends Bohnanza. Als ich um 0.30 ins Bett ging, war es draußen
zwar schon recht dunkel, man hätte aber ohne Probleme noch spazieren gehen
können und

Sterne waren nicht zu sehen. Nur eine ohrenbetäubende Stille füllte
den Wald.
Morgens nahmen wir uns mit dem Wachwerden Zeit. Wir
frühstückten gemütlich, packten unsere Siebensachen und fuhren gegen Mittag los.
Heute trug uns unser Polo nach Tartu. Der Himmel fuhr atemberaubend schöne,
wassergefüllte Schäfchenwolken bei strahlenden Sonnenschein über der hügeligen
Wiesen- und Waldlandschaft auf und
mit „Ich packe meinen Koffer für Estland und
nehme mit“ verging die Zeit bis zur zweitgrößten Stadt Estlands wie im Flug.
Wie bezogen Stellung in einem

Hostel mit Dachterrasse und Hängematte über einer
ehemaligen Brotfabrik und einem Papiermuseum und machten uns auf den Weg in die
Stadt.
Tartu ist die intellektuelle Hauptstadt des Landes und so wartet es in
erster Linie mit Museen wie
einem Biermuseum, einem Spielzeugmuseum, einem
KGB-Museum, Kunstgalerien und einem Sportmuseum, in dem berühmte estnische
Sportarten wie Ehefrauentragen und Mückentotschlagen vorgestellt werden, auf.
Leider war heute Montag und so waren alle Museen, bis auf die Universität mit
ihrem Karzer aus dem 19. Jhd. geschlossen. Da aber in der Uni gerade die
Graduiertenfeiern der Biologiestudenten in vollem Gange waren, konnten wir auch
diese nicht besuchen. Wir schauten uns also den botanischen Garten und die
barocke Domruine aus dem 13.-16
.Jhd. an.

Dafür, dass sie schon vor fast 500
Jahren zerstört wurde, war sie in bemerkenswert gutem Zustand. Heute wollten
wir nicht
selbst kochen und so suchten Alex, Torben und ich uns ein Restaurant
von dem der Reiseführer sagt, „wenn man mal eine Speisekarte in den Händen
halten möchte,
der man ansieht, in welchem Land man sich befindet, dann ist
dieses super-rustikale scheunenartige Gasthaus genau das richtige “.
Da wir nicht
so sehr viel Hunger hatten bestellten wir uns eine Snackplatte und eine Bauerplatte
zu dritt, sowie zwei Vorsuppen.
Leider hatten wir die Mahlzeiten eines
durchschnittlichen Esten anscheinend unterschätzt. Die Suppen fassten jede fast
einen Liter und auf den Platten fanden wir Hähnchenkeule, Hähnchenmagen,
Schweinekotelett, Schweinezunge und – ohren, gefüllte Schinkenröllchen, Käse,
Rippchen, saure Gurke, eingelegte Pilze, geröstetes Brot und Sauce, die fast
nur aus Knoblauch bestand. Auch mit Jimmy hätten wir keine Chance gehabt, all
die Fülle an leckeren

Schlachtereien zu verputzen. Ich schaffte stolz meine Lachssuppe
und probierte von allem zumindest einmal, bevor wir uns den Großteil von einer
zweifelnden Bedienung als doggy bag einpacken ließen. Wir sind zu viert einen
Tag später noch satt geworden.
“.
Da wir nicht
so sehr viel Hunger hatten bestellten wir uns eine
Snackplatte und eine Bauerplatte
zu dritt, sowie zwei Vorsuppen. Leider hatten wir die Mahlzeiten eines
durchschnittlichen Esten anscheinend unterschätzt. Die Suppen fassten jede fast
einen Liter und auf den Platten fanden wir Hähnchenkeule, Hähnchenmagen,
Schweinekotelett, Schweinezunge und – ohren, gefüllte Schinkenröllchen, Käse,
Rippchen, saure Gurke, eingelegte Pilze, geröstetes Brot

und Sauce, die fast
nur aus Knoblauch bestand.
Auch mit Jimmy hätten wir keine Chance
gehabt, all
die Fülle an leckeren Schlachtereien zu verputzen. Ich schaffte stolz meine Lachssuppe
und probierte von allem zumindest einmal, bevor wir uns den Großteil von einer
zweifelnden Bedienung als doggy bag einpacken ließen. Wir sind zu viert einen
Tag später noch satt geworden.
Allen, die bis hierher gekommen sind, wünsche ich eine gute Nacht. Carpe diem,
Stefan