Morz und wie er die Welt sah...

Samstag, Januar 19, 2013

“Mach mal locker” oder “Das Paradies” (Rio Dulce, 11.-13.01.13)


Liebe Freunde,


auch wenn uns die Dschungelwanderung nach Tikal schon ziemlich geschlaucht hatte, war heute keine Chance, lange zu schlafen und sich die Wunden zu lecken. Waehrend die fruehsten Haehne noch einmal beruhigt auf die Schlummertaste drueckten, ging bei uns schon der Tag los. Zombiegleich Sachen packen und um 5.15 aus dem Hotel, damit wir den ersten Bus nach Rio Dulce erwischen wuerden. Kurz vor der Bruecke von Flores fanden wir gluecklicherweise ein Tuk-tuk. Doch das Experiment Tage zuvor hatte gezeigt, dass wir drei schlanken Persoenchen nur mir jahrelanger Yogaerfahrung in ein Tuk-tuk passten. Jetzt auch noch mit vollem Gepaeck! Aber irgendwie schafften wir es, die verbleibende Luft aus dem Vehikel zu verscheuchen, und stattdessen unsere Ruecksaecke mit hineinzubekommen. Das Tuk-tuk war wohl ein Turbo, den trotz der 350kg Zuladung keuchte es im zweiten Gang die kleine Anhoehe hinauf zum Busbahnhof.
Heute wuerden wir endlich mal keinen Minibus benutzen, sondern einen grossen. Es war toll, endlich mal die Knie vor sich plazieren zu koennen, und, da der Bus nicht ganz voll war, sogar das Handgepaeck neben sich. Es ging puenktlich los (die Abfahrtzeit wusste eh’ keiner) und schon schlummerten wir drei genuesslich. Ich wurde erst in Poptun geweckt, wo wir einen kurzen Stopp einlegten und der Fahrer sich erst einmal Kaffee holte. Hier lag die halbe Strecke schon hinter uns, aber ab nun ging es langsamer voran. Etwa eine halbe Stunde spaeter stand der Bus in einem kleinen Dorf. Alles hupte, damit es schneller ging, aber der querstehende Schwerlasttransporter schob sich damit auch nicht schneller von der Strasse.
Der Fahrer des Trucks hatte ganze Arbeit geleistet und waehrend sein Fahrzeug hinten nur einen Meter zu einer Haeuserwand hatte, kratzte es vorne auf dem eisglatten Lehmboden eines Waldweges. Und so stiegen einige Damen aus unserem Bus aus, um Fruechte zu kaufen, ich machte ein paar Fotos von dem Spektakel und unser Fahrer schiffte vorne in den Kuehler. Am Ende klaerte sich die Situation schneller als erwartet und schon 20Minuten spaeter ging es weiter den Highway in Richtung Sueden. Nun stand ein Herr handreibend aus der erstewn Reihe auf und seine Koerpersprache signalisierte: “Okay Freunde. Jetzt geht es los!” Er sprach davon, dass jeder gern laechelt und auch von Schmerzen und wie man diese bekaempft.
Natuerlich hatte er das passende Produkt dabei und fuehrte mit ausschweifender Gestik und gelernt modulierter Stimme die Vorteile seines Produktes aus. Wir durften auch alle einmal probieren. Ich fand, es schmeckte wie Zahnarztspritze und es betaeupte die Zunge sofort. Daher einigten Jimmy und ich uns drauf, dass der Mann da im Bus wohl Lidocain vertickte. Vielleicht haette man es denn Huehnern unter den Sitzen vor uns geben sollen, die die ganze Fahrt aufgeregt gackerten und versuchten herauszubekommen, warum sich der Boden unter ihnen bewegte.


Gegen 11.30 erreichten wir Rio Dulce. Eigentlich heisst der Ort Fronteras, aber er liegt am Rio Dulce – dem Ausfluss des groessten Sees von Guatemala. Unser Plan war es, mit dem Boot um 13.30 den Fluss hinab nach Livingston zu fahren, dass nur per Boot zu erreichen war. Da wir noch 2 Stunden Zeit hatten, holten wir erst einmal Geld und assen Mittag. Ausserdem beschrieb unser Reisefuehrer ein schoenes Plaetzchen zum Uebernachten auf halber Strecke. Wir fanden, es las sich gut und so rief ich in der Finca Tatin an, erst auf spanisch, dann auf englich und am Ende des Gespraechs stellte sich heraus, dass Chris am anderen Ende auch Deutscher war. Eine kurze Rasur beim oertlichen Frisoer spaeter war es dann Zeit, aufs Boot zu gehen und so preschten wir mit einer Lancha ueber das braune Gewaesser flussabwaerts.
Hier ist das ganze Leben auf den Fluss und seine Seitenarme ausgerichtet. Der Supermarkt hat einen Bootssteg, die Tankstelle ist sowieso nur vom Wasser aus zu erreichen. Am Ufer stehen dann und wann Stelzhaeuser und die Luft und das Wasser ist von Kormoranen, Pelikanen und Fregattvoegeln in Anspruch genommen, die auf kleinen Inseln des immer breiter werdenden Fluss ihre Schlafbaeume haben. Nach etwa einer Stunde Fahrt erreichten wir ein Stelzhaus am Wasser, dass ich faelschlicherweise fuer die Finca Tatin hielt, da ihr Name (auch) dran stand. War aber nur Werbung. Es handelte sich um die lokale Raststation mit frischer Kokosnuss auf Eis und Erleichterungsmoeglichkeiten. Und so genossen wir die Pause bei Kokosnuss und Abendlicht ueber dem fast zu einem See aufgeweiteten Fluss.
Wir blieben nur noch weitere 5 Minuten auf der Lancha, bevor wir in einen Seitenarm einbogen, der bis auf die Mangroven, die schwarzen und indianischen Kinder und hohen Temperaturen (wir hatten erstmalig volle tropische Temperaturen erreicht) auch im Spreewald haette liegen koennen. Wir hatten das Paradies gefunden. Die Finca Tatin wuerde sich nie selbst so nennen, aber fuer mich ist es das. Wir hatten eine solide Holzhuette mit 2 Stockwerken, Solarstrom und einer Veranda, die nur 3 Meter vom Fluss entfernt stand. Alles war aus Holz gebaut. Die grosse Gemeinschaftshalle, in der wir alle zusammen Abendbrot assen (Gemuesesuppe und gebratenen Fisch frisch aus dem Wasser),
der Raum unter dem Dorm mit fast so vielen Haengematten wie Gaesten, Buchtauschmoeglichkeit, Getraenke zum Selbernehmen und Abrechnung auf Vertrauensbasis, Vogelbestimmungsbuch; dann der Steg gleich neben unserer Huette mit einem Seil zum reinspringen und Treppe, damit man mehr Schwung bekam und schliesslich einer Sauna direkt auf der anderen Seite unserer Huette. Bis auf die Sauna und die Klos alles wandlos, nur mit Gaze behaengt. Vor unserer Huette hingen 2 Haengematten, wovon eine direkt ueber dem Wasser hing, und es gab 3 LKW-Reifen mit denen man gemuetlich in der Abendsonne im Fluss paddeln konnte. Fuer mich ein Traum auf Erden.
Rene riss sich den Rucksack vom Leib und sprang augenblicklich in die Fluten. Bis zum Abendessen war er gar nicht mehr aus dem Wasser zu kriegen. Ich packte noch aus und folgte im tarzangleich (nur viel eleganter :-) ) vom Seil aus ins Wasser. Nach Sauna und dem Abendessen legte ich mich mit ein paar Postkarten in eine Haengematte und Rene, der eigentlich hundemuede war, wollte (wie seine Kinder zu Hause vermutlich auch) einfach nicht ins Bett, weil hier alles so schoen und aufregend war. Und so betrachtete er die Bauweise der Holzhaeuser eingehend, bis er dann friedlich schnarchend in seinem Sessel einschlummerte. Ich kam zu keiner Postkarte, weil ich mich stattdessen mit Anja und Marisol aus Hamburg unterhielt, die auch nur so kurz reisen konnten wie wir.


Beim Fruehstueck entschieden wir uns, Livingston Livingston sein zu lassen und noch einen Tag zu bleiben. Rene und ich schnappten uns ein Kanu und Chris (immer ein “Mach mal locker!” auf den Lippen)schipperte uns zusammen mit den Maedels in ein nahegelegenes Biotop. Hier sahen die schmalen Kanaele nun wirklich aus wie der Spreewald. Wir paddelten in aller Stille in den Seitenarm hinein, um keine Tiere aufzuschrecken, aber die meisten waren wohl gerade einkaufen. Macht nichts. Wir genossen einfach die Stimmung und einzig auf einem Seerosenfeld staksten ein paar Rallen und Reiher von Blatt zu Blatt. Die gemuetlichen Manatis, fuer die das Biotop eigentlich eingerichtet war, liessen sich natuerlich nicht blicken. Aber auch egal. Der Tag war so schon schoen genug und so paddelten wir in Ruhe und im Schatten der Baeume 2,5 Stunden zurueck zur Finca, nicht ohne einmal baden gegangen zu sein und uns an einer weiteren Kokosnuss zu erfrischen. Auf den letzten Metern wurde es nochmal interessant. Wir sahen viele Fischer in geschnitzten Einbaeumen, zwei Geier, die die Sonne auf einem Ast ueber Wasser genossen und sogar ein Otter streckte seinen Kopf kurz vor unserem Boot aus dem Wasser.
Der einzige Fleck auf diesem so bluetenreinen Tag war die bloede Pottsau von Arschloch, die mit seinem Motorboot durch einen schmalen Kanal an uns so dicht vorbeipreschte, dass er uns kaum ausweichen konnte und eine volle Bugwelle ueber unser Kanu jagte, so dass mein Fotoknips so richtig baden ging. Die Kanallie war leider ein Kek’Chi-Indio, so dass er meine spanischen Schimpfwoerter und Verwuenschungen nicht einmal verstand. Wichser!

Abends gingen wir dann wieder baden, gepaart mit einem Saunabesuch, bis es Essen gab. Gemuesesuppe und Pastetchen mit lila Stampfkartoffeln. Nach ein paar Stunden sprangen Rene und ich nochmal ins erfrischende Nass, begleitet von den beiden Hamburgerinnen und einer Hollaenderin, die am Ufer bleibend nur “crazy Germans” murmeln konnten. Bei einem Bier liess es sich herrlich in die Sterne schauen und Sternschnuppen beobachten.


Fuer den naechsten Morgen hatten Rene und ich mir vorgenommen, mit dem Kanu die letzten 2,5 Stunden den Rio Dulce hinab bis Livingston zu paddeln. Jimmy wuerde auf dem Boot das Gepaeck mitnehmen und in unserem naechsten Hostel schon einmal einchecken. Doch noch vor dem Fruehstueck und nach dem ersten Bad im Fluss, als der Nebel sich langsam hob, liessen sich einige Voegel ueber uns blicken. Mein persoenlicher Favourit war die zwei Tukane, die sich von hohen Aesten aus die Gegend anschauten und lustig quakten. Diese schoenen Voegel hatte ich vor Tikal im Wald vergeblich gesucht und hier sitzen sie in 10 Metern Entfernung auf den Baeumen.


Um 9Uhr gings ins Kanu und flussabwaerts. Nachdem uns das Motorboot der Finca Tatin ueberholt hatte, haette ich nie vermutet, wie still es auf einem Fluss sein koennte. Selbst die Fluggeraeusche der gleitenden Kormorane konnte man hoeren, wenn sie durch den Canyon des Rio Dulce flogen. Ueberall sassen Reiher und tauchten Kormorane U-Booten gleich auf, um ihrer Nahrungssuche nachzugehen. Auch wenn schon der Wechsel von Flores/Tikal zum Rio Dulce eine andere Welt war, erreichten wir heute eine weitere. Der Fluss oeffnete sich langsam. Fischerboote und unzaehlige Pelikane, sowie Docks loesten die Reiher und Stelzhaeuser ab. Und hinten am Horizont sahen wir den Atlantischen Ozean. Wir waren in der Karibik angekommen – aus eigener Kraft. Ein tolles Gefuehl. Livingston ist die einzige Garifunagemeinde Guatemalas. Es gibt noch weitere in Belize und Honduras. Garifuna sind Abkoemmlinge aufstaendischer afrikanischer Sklaven, die sich mit dem Stamm der Kariben vermischt haben. Und so sah Livingston auch aus: Viele schwarze Menschen, die so cool und relaxt waren, dass die Karibik bald zufror. Ueberall lief Bob Marley und jeder sprach von der bevorstehenden Beachparty. Wir schnappten uns erst einmal all unsere dreckigen Klamotten seit der Dschungeltour und brachten sie in die oertliche Waescherei. Dann erkundeten Rene und ich noch ein bisschen den Ort mit seinen kleinen Geschaeften und Bars, bevor ich mich um 14.00 ins Hostel setze, um endlich mal einen Reisebericht zu schreiben. Nur ging die bloede Kiste von Notebook nicht mehr an. Mit Jimmys Hilfe konnten wir einen Hardwaredefekt diagnostizieren. Man, und alle Fotos sind schon auf dem Rechner. Die zweite Pleite innerhalb von 24 Stunden und zwei weitere wuerden in den naechsten 24 Stunden noch folgen. Doch das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Unser Kanu wurde von einem Boot der Finca Tatin abgeholt und zusammen mit den Maedels bezahlten wir unsere Restschulden bei der Finca bei Ismael in unserem Hostel in Livingtston. Dann brachen wir zum Abendessen auf. Irgenwie lebte der Ort kurz nach Sonnenuntergang noch viel mehr als am Tag. Mamas schubsten ihre Kinder auf der Schaukel an, die groesseren Jungs spielten barfuss Fussball, ein Angetrunkener oder Bekiffter versuchte uns in seine Bar zu locken und wir sahen dem Spektakel zu. Nachdem wir den Ort zwei weitere Male durchschritten hatten und uns viel ueber Hamburg und Muenchen unterhalten hatten, bogen die Maedels ins Internet ab, waehrend Rene darauf bestand, dass man in der Karibik unbedingt einen Cocktail trinken muesse. Und so liessen wir den Abend bei Caipirinha und Pina Colada in unserem Hostel mit Meerblick ausklingen – nicht ohne uns von Anja und Marisol zu verabschieden, denn im Gegensatz zu ihnen wuerden wir morgen das Fruehboot nach Puerto Barrios nehmen. Beim Ins-Bett-gehen fiel mir dann auf, dass wir leider meinen Schlafsack nicht mehr aus der Waesche zurueckbekommen haben. Scheisse. Und morgen frueh ist die Waescherei noch nicht auf. Da blieb mir nur, nachts noch einen kurzen Brief an die Maedels zu schreiben und hoffen, dass sie mehr Zeit haben wuerden als ich. Pappensatt schlief ich ein.

Bis zum naechsten Mal. Carpe diem,

Stefan

2 Comments:

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    By Anonymous Anonym, at 02:46  

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