Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, Juni 19, 2013

Baltikum - Von Tallinn nach Tartu (14.-17.06.2013)

Liebe Freunde,



das Baltikum ist ein unentdecktes Land, mitten in Europa – zumindest für mich. Seit einigen Jahren schon möchte ich es kennenlernen – aber meistens fällt mir das erst im Herbst wieder ein. Und ein Wintertrip in den Norden reizt mich nun gar nicht. Dieses Jahr kam mir die Idee früher und so starteten Jimmy, Torben, Alex und ich bereits im Juni in das Land der Esten. Jeder von uns hatte eine andere Reiseroute gewählt. Meine sah vor, von Frankfurt nach Tallinn zu fliegen. Da Deutschland inzwischen über Fernreisebusse verfügt, die sich derzeit mit unerhört niedrigen Preisen um das Business prügeln, entschied ich mich, Freitagmorgen mit dem Fernbus von München direkt zum Frankfurter Flughafen zu fahren. Der Bus war nahezu leer und so hatte ich Platz, am Notebook Spanisch zu lernen, über dem Notebook einzuschlummern, und 60km vor Stuttgart durch eine Durchsage des Fahrers aufzuwachen, welcher bekannt gab, dass wir aufgrund mehrerer Staus versuchen werden, über die B10 nach Stuttgart zu gelangen. Wieso Stuttgart? Nix war’s mit Direktbus. Und so kämpfte sich der Fernbus an schwäbischen Hausfrauen vorbei mit anderen LKW, die ebenfalls die glorreiche Idee hatten, den Stau zu umgehen, durch das schwäbische Hinterland – von roter Ampel zu roter Ampel, von Zebrastreifen zu Zebrastreifen, von Kreuzung zu Kreuzung. Ich sag nur: Blumen pflücken während der Fahrt verboten!
Wir erreichten Stuttgart mit einer geringen Verspätung von 45 Minuten. Da aber auf der A8 weiterhin Stau angekündigt war – kein Wunder auf der Königin der Baustellen –entschied sich der Troglodyt von einem Fahrer den Stau über die A81, und damit über die Innenstadt von Stuttgart zu umgehen. Großartige Idee. Lange Rede, kurzer Sinn. Der Bus kam um 18.15 am Frankfurter Flughafen an – mein Flug ging um 18.30. Auch wenn mir klar war, dass ich meinen Flug verpassen würde, flitze ich über Terminal 1 in den Skytrain zu Terminal 2 und hin zum Check-In Schalter. Vielleicht hatte der Flug ja einiges an Verspätung. Ja, scheiße. Wie erwartet, aber nicht gehofft, war der Schalter bereits geschlossen und der Flieger weg. Ich ging zum Airline-Schalter, um zu erfragen, auf wann ich den Flug umbuchen könnte. Und schon wieder merkte ich, wie ich meine Hand sprichwörtlich im Abort versenkte: Der Flug war non-refundable, non-changeable. Also neu buchen. Ich setzte mich ans Flughafen-WLAN, um einen neuen Flug zu buchen, als mich Alex anrief. Das verwunderte mich etwas, da sie eigentlich im Flieger nach Tallinn sitzen sollte. Aber sie hatte den Flug ebenso verpaßt – im Gegensatz zu ihrem Gepäck. Aufgrund einer Schlägerei wegen zu langsamen Sicherheitskontrollen war sie zu spät zum Boarding erschienen, ebenso wie 7 andere Passagiere. Immerhin wurde sie kostenlos auf den Flug einen Tag später umgebucht. Und so setzten wir uns zusammen in den Zug zu ihr nach Mannheim und quatschten über die letzten paar Monate, die wir uns nicht gesehen hatten.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir zurück nach Frankfurt und – oh Wunder – alle Passagiere, die am Tag zuvor den Flieger verpasst hatten, waren schon mindestens 3 Stunden vor Abflug am Schalter. Heute ging alles glatt und natürlich (Murphy-Prinzip) viel schneller als jemals zuvor, so dass wir fast 2 Stunden vor Abflug schon am Gate saßen. Das Flugzeug war eine Turpoprop-Maschine und so eng, dass ich meinen Hamburger Sitznachbarn weit näher kennenlernte, als ich es jemals gewünscht hätte. Aber der Anflug auf Riga war schon toll. Sonnenuntergang mit herrlichen Farben über der Nehrung vor der Stadt. Wir steigen um in eine Boing 737 und da wir nun weiter nach Norden flogen, hielt dieser atemberaubende Sonnenuntergang an, bis wir um Mitternacht endlich unser Ziel erreicht hatten: Tallinn.
Das Taxi brachte uns zur gewünschten Adresse, nur fanden wir das Hostel nicht. Es war auf keiner Etage des Hauses mit der im Internet gefundenen Postadresse. Endlich fanden wir ein Schild. Dem folgten wir über einen Parkplatz, durch ein geschlossenes Gartentor und in einen Kellereingang, wo uns dann glücklicherweise ein russisches Mädel entgegen kam, die allem Anschein nach zum Hostel gehörte. Das Hostel liegt in einem Keller ohne Sonnenlicht, war aber überaus sauber und praktisch eingerichtet. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass es Torben und Jimmy auch nach Tallinn geschafft hatten, schliefen wir den Schlaf der Gerechten.
Am Sonntag klingelte mein Wecker viel zu früh. Wir hatten uns um 8.30 zum Frühstück verabredet, um zu besprechen, wie wir die Baltikumtour wegen des „fehlenden Tages“ umbauen würden. Und dazu musste ich mir noch einiges anlesen. Glücklicherweise gab es WLAN, da Estland einen freien Internetzugang für jedermann sogar in der Verfassung des Landes verankert hatte. Drei schwarze Tees später weckte ich die anderen gegen 9:00, da mir inzwischen langweilig geworden war. Wir verabredeten, an der Tour nichts zu ändern. Und während Jimmy und Alex frühstückten, holten Torben und ich unser Töfftöff vom nahe gelegenen Busbahnhof ab. Torben führte uns sicher durch mehrere Schleichwege – anscheinend hatte er gestern die Stadt allein schon sehr ausführlich erkundet. Am Busbahnhof erwartete uns einer der Leningrad Cowboy an einem litauischen VW Polo, der für die nächsten 10 Tage unser Zuhause sein sollte. Die Übergabe war sehr lässig – hoffentlich wird es auch die Rückgabe sein.
Torben führte dann Alex und mich zu einem kurzen Stadtrundgang in die Altstadt von Tallinn. Tallinn ist als vom Schwertbrüderorden aufgebaute Hansestadt eher mittelalterlich geprägt. Etwa die Hälfte der alten Stadtmauer mit nahezu allen Türmen steht noch. Die Häuer stammen zwar größtenteils noch aus der ersten Hälfte des 20. Jhd., aber hier und da stehen noch prachtvolle Gilde- und Kaufmannshäuser der Hansezeit. Davor spielen Esten in Tracht Blockflöte oder bieten Geschmeide feil, um die durch die Gassen getriebenen Kreuzfahrttagesgäste zu belustigen. Wir stiegen auf einen hohen Kirchturm, um den Ausblick auf die Stadt zu genießen. Von hier oben waren auch die architektonischen Bausünden der Sowjetzeit zu betrachten. Die Linnahall zum Beispiel ist ein vor sich hin rottender Betonklotz von der Größe des Alexanderplatzes, der einmal „Lenin-Kulturhalle“ hieß und nun den Weg zwischen Hafen und Altstadt verschandelt. Aber auch auf den Domberg mit seiner russischen Basilika mit seinen Zwiebeltürmen und den alten Burgmauern ist schön zu sehen. An der Stadtmauer entlang sahen wir uns die Ergüsse des Blumenfestes an, bevor wir den Domberg bestiegen und über den Rathausplatz wieder zurück zum Auto gingen.
Am frühen Nachmittag dann waren wir startklar. Wie ein Wunder passte das gesamte Gepäck in den Kofferraum und schon ging es los in Richtung Osten – an irgendwie merkwürdig klingenden Ortschaften wie ???, ??? und ??? vorbei in den 80km entfernt gelegenen Nationalpark Lahemaa. Wir hatten vor zu wandern. Allerdings schüttete sich gerade ein mittlerer Atlantik über uns aus, so dass wir erst einmal zum Besucherzentrum des NP im alten Gutshof von Palmse führen. Dort hatte wohl auch keiner Lust auf Regen, denn er war geschlossen. Also fuhren wir weiter – nach Käsmu, welches als Dorf der Kapitäne bekannt ist. Von den ca. 500 Einwohnern des Dorfes waren zwischenzeitlich bis zu 120 Kapitäne und ca. ein Drittel aller estnischen Schiffe sind auf dieses kleine Nest zugelassen. Es gibt auch ein kleines Museum über Seeschifffahrt, das wir besuchten. Stellt euch das Museum wie den Fundus der WDR-Sendung „Das Dings vom Dach“ vor. Es ist vollgestopft mit lustigen Geräten, aus deren Verwendung man ohne Hilfe nicht kommt: Haken zum Seehundjagen, Handschuhe zum Segelflicken, Glaskugelbojen, faltbare Schöpfeiner und vieles mehr. Jetzt brach die Sonne wieder durch die Wolken und tauchte die Ostseeküste in herrliches Licht, so dass wir beschlossen, die Nacht über hier zu bleiben. Wir fanden in einem benachbarten Haus ein Apartment mit Küche am Kiefernwald und so gingen wir zuerst einkaufen. Dann fuhren wir noch zum Gutshof Oando. Hier beschrieb der Reiseführer einen schönen Altholzpfad von 5km Länge. Wir hätten lieber Grillfleisch kaufen sollen, den der Pfad begann an einem wunderschönen Grillplatz am Bach, mitten in ursprünglicher Natur. Der Pfad führte uns durch ein früher gesperrtes Gebiet des Nationalparks. Dementsprechend gab es viel Totholz, welches langsam vom Wald wieder überwuchert wurde. Alle paar 100m stand eine Schautafel, die uns über das besondere Gelänge (Schubrinne der letzten Eiszeit, Bärenschubberbäume etc.) aufklärte. Der Weg war auf Planken durch den Wald angelegt, so dass man nicht in Versuchung gerät, den Weg zu verlassen. Neben Unmengen an (leider noch nicht tragenden) Blaubeeren, sahen wir viele Frösche, Schwarzspechte, Kratzbäume von Elchen und Bären und einen Kreuzschnabel, der ein Eichhörnchen von seinem Baum vertreiben wollte (aber erfolglos). Zurück in der Unterkunft gab es lecker Nudeln mit Tomatensoße und zur Feier des Abends Bohnanza. Als ich um 0.30 ins Bett ging, war es draußen zwar schon recht dunkel, man hätte aber ohne Probleme noch spazieren gehen können und Sterne waren nicht zu sehen. Nur eine ohrenbetäubende Stille füllte den Wald.
Morgens nahmen wir uns mit dem Wachwerden Zeit. Wir frühstückten gemütlich, packten unsere Siebensachen und fuhren gegen Mittag los. Heute trug uns unser Polo nach Tartu. Der Himmel fuhr atemberaubend schöne, wassergefüllte Schäfchenwolken bei strahlenden Sonnenschein über der hügeligen Wiesen- und Waldlandschaft auf und mit „Ich packe meinen Koffer für Estland und nehme mit“ verging die Zeit bis zur zweitgrößten Stadt Estlands wie im Flug. Wie bezogen Stellung in einem Hostel mit Dachterrasse und Hängematte über einer ehemaligen Brotfabrik und einem Papiermuseum und machten uns auf den Weg in die Stadt. Tartu ist die intellektuelle Hauptstadt des Landes und so wartet es in erster Linie mit Museen wie einem Biermuseum, einem Spielzeugmuseum, einem KGB-Museum, Kunstgalerien und einem Sportmuseum, in dem berühmte estnische Sportarten wie Ehefrauentragen und Mückentotschlagen vorgestellt werden, auf. Leider war heute Montag und so waren alle Museen, bis auf die Universität mit ihrem Karzer aus dem 19. Jhd. geschlossen. Da aber in der Uni gerade die Graduiertenfeiern der Biologiestudenten in vollem Gange waren, konnten wir auch diese nicht besuchen. Wir schauten uns also den botanischen Garten und die barocke Domruine aus dem 13.-16.Jhd. an. Dafür, dass sie schon vor fast 500 Jahren zerstört wurde, war sie in bemerkenswert gutem Zustand. Heute wollten wir nicht selbst kochen und so suchten Alex, Torben und ich uns ein Restaurant von dem der Reiseführer sagt, „wenn man mal eine Speisekarte in den Händen halten möchte, der man ansieht, in welchem Land man sich befindet, dann ist dieses super-rustikale scheunenartige Gasthaus genau das richtige “. Da wir nicht so sehr viel Hunger hatten bestellten wir uns eine Snackplatte und eine Bauerplatte zu dritt, sowie zwei Vorsuppen. Leider hatten wir die Mahlzeiten eines durchschnittlichen Esten anscheinend unterschätzt. Die Suppen fassten jede fast einen Liter und auf den Platten fanden wir Hähnchenkeule, Hähnchenmagen, Schweinekotelett, Schweinezunge und – ohren, gefüllte Schinkenröllchen, Käse, Rippchen, saure Gurke, eingelegte Pilze, geröstetes Brot und Sauce, die fast nur aus Knoblauch bestand. Auch mit Jimmy hätten wir keine Chance gehabt, all die Fülle an leckeren Schlachtereien zu verputzen. Ich schaffte stolz meine Lachssuppe und probierte von allem zumindest einmal, bevor wir uns den Großteil von einer zweifelnden Bedienung als doggy bag einpacken ließen. Wir sind zu viert einen Tag später noch satt geworden.
“. Da wir nicht so sehr viel Hunger hatten bestellten wir uns eine Snackplatte und eine Bauerplatte zu dritt, sowie zwei Vorsuppen. Leider hatten wir die Mahlzeiten eines durchschnittlichen Esten anscheinend unterschätzt. Die Suppen fassten jede fast einen Liter und auf den Platten fanden wir Hähnchenkeule, Hähnchenmagen, Schweinekotelett, Schweinezunge und – ohren, gefüllte Schinkenröllchen, Käse, Rippchen, saure Gurke, eingelegte Pilze, geröstetes Brot und Sauce, die fast nur aus Knoblauch bestand. Auch mit Jimmy hätten wir keine Chance gehabt, all die Fülle an leckeren Schlachtereien zu verputzen. Ich schaffte stolz meine Lachssuppe und probierte von allem zumindest einmal, bevor wir uns den Großteil von einer zweifelnden Bedienung als doggy bag einpacken ließen. Wir sind zu viert einen Tag später noch satt geworden.

Allen, die bis hierher gekommen sind, wünsche ich eine gute Nacht. Carpe diem,
Stefan