Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, Mai 26, 2010

Das (H)eilige Land

Liebe Freunde,

in den letzten Monaten bin ich ganz schön rumgekommen - doch nie habe ich mir die Zeit genommen, euch davon zu berichten. Das möchte ich nun nachholen und euch von meiner Chorreise nach Israel erzählen. Chor? Israel? Die Geschichte ist etwas länger. Ja, ich singe und zwar nicht nur unter der Dusche sondern in einem Chor. Und das wahrscheinlich schon, seitdem ich selbständig aufs Töpfchen gehen konnte und der Rest der Menschheit das Rad erfunden hatte. Der Chor heißt „Kantorei Potsdam“ und ist in der Erlösergemeinde in Potsdam-West ansässig. Okay, Teil eins der Frage geklärt. Und warum nun Israel? Nachdem Prof. Meinel als Chorleiter in Rente gegangen ist, suchte er sich einen Nachfolger und fand ihn in Ud Joffe, einem gebürtigen Israeli, der das inzwischen auch schon seit 13 Jahren macht und vor kurzem allen durch ungeschickte „Lügner, Lügner“-Rufe während der Diskussion über eine Potsdamer Synagoge aufgefallen ist. Vor 3 Jahren testete Ud dann mit einer Reise mit dem Kammerchor an, ob das israelische Publikum Lust auf einen deutschen Chor hätte und ob Menschen im allgemeinen genug Kraft und Ausdauer besitzen, seine gekoppeltes Chor- und Sightseeingprogramm überleben zu können. Und da es einige Mitglieder des Kammerchores in der Tat schafften, plante Ud nun eine Reise mit der gesamten Kantorei und von der möchte ich euch erzählen.

0./1.Tag - Ankunft in Israel / Jaffo

Wir schreiben das Jahr 2010 nach Christi Geburt - es ist noch nicht warm aber frühlingshaft, die kecke Abendsonne blinzelt durch die Bäume des Platz’ der Einheit und drei unserer Protagonisten; Thomas, Peter und ich warten, über die unsinnige Größe unseres Gepäcks plaudernd, auf die Ankunft unserer Mitfahrgelegenheit zum Flughafen. Diese erscheint in Form eines älteren VW Busses und Nicole, der besten Freundin von Thomas, ebenfalls Sängerin im Chor. Ihr Freund brachte uns netterweise rechtzeitig nach Tegel, wo wir dann auch noch Richard und alle anderen 92 Mitreisenden trafen. Alle kamen auf die Idee, gleichzeitig einzuchecken und Ud versuchte einige seiner sieben Koffer (á 25kg) uns anderen Reiseteilnehmer beim Check-in mit unterzuschieben. Unsere kleine Truppe traute sich, direkt am Businessschalter einzuchecken und war damit als erste sein Gepäck los und bereit für einen Gute-Nacht-Kaffee am Imbissstand um die Ecke. Kurz vor dem Aufruf zum Boarding erschienen wir zurück am Gate und stellten mit Erstaunen fest, das immer noch ca. 20 Leute nicht eingecheckt waren und Ud mit seinen Wutausbrüchen inzwischen schon das halbe Terminal als Publikum hatte. Was war passiert? Die uns zugedachte Maschine mußte wegen technischer Mängel in Bangkok stehenbleiben und der Ersatz-Rotzkocher besaß 27 Sitzplätze weniger, woran auch Ud oder die Air Berlin Crew nichts ändern konnte. Nach einigen Umsortierungen, um eine Balance zwischen den Stimmen für den morgigen Tag und die Probe zu erreichen, und nutzlosem Anflehen der anderen Fluggäste, doch statt uns in Berlin zu bleiben, ging der Flug dann verspätet gegen 23.30 in die Luft.

Ich drängelte mir ein paar Möge-doch-die-Welt-untergehen-mir-doch-egal-Tabletten rein und hoffte, wenigstens drei der vier Flugstunden mit Matrazenhorchdienst verbringen können. Das klappte, bis auf die obligatorischen Stewardesstrolley-gegen-Schienbein-„Oh-entschuldigen-Sie“-Zwischenfälle auch ganz gut. Am „Morgen“ spürte ich zwar Knochen im Leib, die sich wohl erst neuerdings in meinen Körper verirrt hatten, aber mein Kopf war außenwelttauglich. Die israelische Einreise konnte kommen! Und die war unerwartet unspektakulär. Keine waffenstarrenden Sicherheitsbeamten oder Verhöre durch den Mossad – nur ca. 30 Einreiseschalter – 20 für die paar Israelis und 10 für alle anderen, die wie die Zombies auf der Suche nach Hirn den Beamten langsam entgegen wankten. Es war ja auch 3 Uhr morgens. „Was ist der Grund ihrer Reise nach Israels?“, fragte mich der mufflige Grenzer. „Wissen sie,diese Meute da hinter mir und ich stellen einen Chor da und wir machen eine Konzertreise durch ihr Land.“ „Sie machen was?“ „Ach wissen sie, tragen sie ‚Tourist’ ein!“ „Okay, Tourist!“ Und schwupps war ich in Israel.

An der Gepäckausgabe testete Ud sein mitgebrachtes Headset und die zwei Boxen das erste Mal, um uns mit einem seiner berühmten ausufernden Monologe zu erfreuen und dazu aufzurufen, keinen Individualismus mitzubringen und als Gruppe zu agieren. Zwei ausgeborgte Busse (von einer Konferenz und mit dem Schriftzug „Birthright Israel“ bedruckt) brachten uns dann in unser erstes Hostel in Tel Aviv, wo wir unser Gepäck lassen konnten und da wir aber noch nicht einchecken konnten, räkelten wir uns am nahegelegen Strand in der Hoffnung auf Nachtschlaf und das Ausbleiben von Sonnenbrand. Nachdem ich meine Fertigkeiten des Badehosewechselns-unter-Handtuchverdeck etwas ausbauen konnte, warf ich mich in das angenehm kühle Nass des Mittelmeeres und betrachtete die Skyline von Tel Aviv und die professionellen Strandliegenaufsteller.

Es fühlte sich so nach spätem Nachmittag an, aber vermutlich war es erst gegen 8 oder 9 Uhr morgens, als uns die Mutter von Ud am Strand besuchte. Doch sie kam nicht allein, sondern brachte zwei Tische, Gurken, Tomaten, gekochte Eier, vier verschiedene Sorten Burekas (die natürlich original israelisch erfundene Version eines Böreks), Wasser, Cola, Besteck, Teller uns vieles mehr für eine 70 Mann starke truppe mit. Hut ab vor der alten Dame. Nach Uds Rollenvorstellung wurden die Mädels zum Gemüseschnippeln abgestellt und bald genossen wir ein üppiges Frühstück an Mittelmeer. Gegen 12 cUhr konnten wir endlich unsere Zimmer beziehen. „Die Jungs“, wie Ud uns pflegeleichte Unter-40-jährige auf der Reise immer dann bezeichnen würde, wenn es darum ging, wer die Arschkarte ziehen durfte, zogen in das Acht-Mann-Zimmer ganz oben. Und mit „ganz oben“, mein ich „ganz oben“. Neben uns war nur noch der Ausgang zum Dach (wegen Renovierung geschlossen) und ein verrosteter Schrank. Aus unserem Zimmer mußte man rückwärts wieder rausgehen, weil kein Platz zum umdrehen war. Aber zum Glück war das ein Fenster – so groß wie eine Notenmappe und nur zu Hälfte zu öffnen. Aber ich will nicht meckern, der Putz blieb an der Wand, der Boden war sauber und Betten erwarteten uns, die wir sofort in Totenstarre umklammmerten.

Als wir alle gegen 15 Uhr von den Toten erwachten, fühlten wir uns erholt, wie an einem neuen Tag. Aber der Tag war ja noch nicht zu Ende. Gegen 16 Uhr sammelten wir uns vor der Tür und fuhren in kleinen Gruppen mit Taxis nach Jaffo, oder Jaffa, wie wir im Deutschen sagen. Jaffo liegt ein paar Kilometer südlich von Tel Aviv auf einem Hügel, besitzt einen hohen Uhrenturm und eine schöne Medina mit engen Gassen – fast echt arabisch und mit vielen touristisch zugeschnitten Restaurants und Souvenirständen. Die kleinen verschlungenen Wege durch Altstadt Jaffos bieten einen angenehmen Kontrast zu den europäisch-amerikanischen Straßen der Lebestadt Tel Aviv. Und dabei ist Tel Aviv sowieso nur ein Vorort Jaffos (wie Berlin der von Potsdam), der 1910 von russischen Juden gegründet wurde. Jaffo dagegen zeigte uns das erste Mal auf dieser Reise, wie jeder Stein in Israel mindestens tausendjährige heilige Geschichte aufweist. Es gibt, glaub ich, in dem ganzen Land keinen Felsen, auf dem nicht irgendein Moses gesessen, König David Harfe gespielt oder Kreuzritter mit dem Schwert was eingeritzt hat. Aber schauen wir uns einmal Jaffo an: Der Legende nach wurde die Stadt von Noahs Sohn Japhet nach der Sintflut gegründet, aber historisch belegt ist sie trotzdem schon seit mindestens 3600 da. König Salomo hat seine Libanonzedern hier eingeführt, weil Jaffo einen großen Hafen hatte. Pharao Ramses II. hinterließ ein Tor, Napoleon eine Statue, die Kreuzritter eine Burg, Perseus den Felsen, von der er die schöne und nackt angekettete Andromeda befreite, die dem Meeresungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden sollte. Und das alles auf vielleicht 2 Quadratkilometern. Soviel Geschichtsdichte ist mir sonst noch nie untergekommen. Außerdem hat der Apostel Petrus hier die Tabita zum Leben erweckt. Daran erinnert das Franziskanerkloster mit St.-Peter-Kirche, die schräg gegenüber und neben der griechisch-orthodoxen St-Michael-Kirche, der armenischen Kirche und 2-5 Moscheen liegtl. Auch an die Religionsdichte mußte ich mich erstmal gewöhnen. Ebenso wie an die Besichtigungen mit einer Hundertschaft Touristen, der Thomas, Richard, Nicole und ich schnell entflohen, um auf eigene Faust durch die Gassen zu schlendern. Dabei trafen wir auf viele Hochzeitspaare, die sich heute anscheinend alle gleichzeitig vorgenommen hatten zu heiraten und auf ein Truppe Soldatinnen, die, das M16 lässig über die Schulter gehängt, über das neuste Handylogo kicherten. Ein befremdliches Bild, auf das wir in Israel noch häufiger Treffen sollten.

Der Abend wurde recht kühl und wir setzten uns mit dem gesamten Chor in ein gemütlich-chilliges Restaurant in Strandnähe auf breite weiße Sofas, die so herrlich zum Flezen einluden. Ud erklärte uns die hebräische Speisekarte, denn auf der englischen hatte man die billigen Menüs irgendwie vergessen abzudrucken, und half mir – nicht zum letzten Mal – die Gerichte zu finden, die noch nicht in Zitrone getränkt waren. Wir speisten lange und ausgiebig und als ich gesättigt und glücklich auf mein Sofa zurücksank, sah ich hinter den Rücken von Nicole und Thomas etwas auf mich zurasen. Eh begriff, was das war, war die Ratte auch schon in gestreckten Galopp über meinen Oberkörper gewetzt und in der Hecke verschwunden, noch eh ich ein verdutztes „Uff“ rauswürgen konnte.

Den Abend beschlossen wir dann mit einem Spaziergang auf der Strandpromenade zurück zum Hostel und weil die Temperaturen in unserem Zimmer noch über Körpertemperatur lagen, ließen Thomas, Holger und ich den Abend bei einem kühlen Bier an der Promenade ausklingen.

2. Tag – Probe im Kibbutz

Der zweite Tag begann mit einer Dusche, Tee und viel zu viel gut gelaunten Menschen. Als ich dann auche ndlich wach war, stiegen wir in 2 Busse und fuhren in einen Kibbutz, etwas außerhalb der Stadt – zur Chorprobe – denn wir waren ja nicht nur als Touristen in Israel. Das Orchester, welches uns begleiten würde, ist das Israel Kibbutz Orchester und deshalb würden die meisten unserer Konzerte in Kibbutzim stattfinden. Eigentlich ist ja in der Idee der Kibbutzbewegung, von der uns viel erzählte, kein Platz für ein Orchester, da man ja an einem Tag zwar Oboe spielen könnte, aber am nächsten schon wieder Kartoffeln ernten müßte. Doch über die Zeit gestalteten viele Kibbutzim ihr kommunistisches Ideal zu einer modernen Dorfgemeinschaft um und so gab es die Möglichkeit, aus verschieden Kibbutzim in Israel ein Orchester zu formen. Und das war betont lässig. Wir tranken Tee und Kaffee während der Probe, der Hund der Sopranistin scharwenzelte durch die Instrumente und die Hornisten lösten Kreuzworträtsel und malten Comics in die Noten, wenn sie grad nicht dran waren. Aber trotzdem waren alle sehr professionell – sehr angenehm. Nur wir klangen furchtbar. Wir waren ja auch nicht eingesungen.

Mittag gab es in der Kibbutzkantine, wo uns Ud während des Essens weiter über das Leben im Kibbutz, die gemeinschaftliche Kinderbetreuung, das geldlose Leben und die Integration der Kibutzim in die heutige Gesellschaft erzählte. Spannend fand ich, daß sich die Bevölkerung eines Kibbutz normalweise aus den Nationalitäten der derzeitigen Einwanderungswelle speist und sich später kaum ändert. So gibt es zum Beispiel Kibbutzim, bei denen Russen und Äthiopier zusammen leben.

Für das Nachmittagsprogramm ging es zurück in den Bus und ich bekam meinen ersten Anschiß. Da man unmöglich 100 Leute im Blick haben und wissen kann, ob alle im Bus sind, hat sich Ud etwas ausgedacht. Er hat die 100 Mann in 10 Untergruppen á 10 Leute geteilt und ich war nun Gruppenleiter der Gruppe 5 aus dem Bus B. Wo ich doch viel lieber Wandzeitungsagitator geworden wäre.... Leider kannte ich von meiner Gruppe nur meine zweite Reihe aus dem Bass - Thomas, Richard und Peter - und wußte dementsprechend nicht, ob alle da sind. Aber beim aussteigen stellten sie sich alle mir vor: Vier nette Mädels aus dem Alt und eine aus dem Sopran. Im weiteren Verlauf der Reise stellte sich eh heraus, daß wir die coolste Truppe der ganzen Reise waren.

Der Plan für den Nachmittag bestand darin, sich in der Sonne zu flezen und baden zu gehen. Und zu letzterem mußte sich keiner erst überreden lassen, denn das Wasser war warm und der Sturmball oben. Herrlich große Brecher ließ nicht nur das Herz von Surfern höher schlagen, sondern uns alle bis zur Erschöpfung durch die Wellen springen und uns eine Nasennebenhöhlenspühlung abholen. Der Bademeister rief zwar ständig „Alle Russen weiter nach links ins Flache“ wie Ud uns später übersetzte, aber der war wohl ignorante Badegäste schon gewöhnt.

Bis zum Sonnenuntergang hingen wir an Strand rum, schrieben Postkarten, spielten Volleyball und genossen die Wärme. Auf der Rücktour zurück zum Hostel waren die meisten so kaputt gespielt, daß nur wenige Uds Einladung zur Hafenmeile und den dortigen Kneipen folgten. Irgendwie erinnerte mich dort alles an den Kreativkai in Münster, nur etwas schicker und kommerzieller. Die meisten aßen noch ein Eis (und keiner konnte an einer Kugel dunkler Schokolade vorbei) und hockten uns dann noch in eine Strandbar, bis uns einfach zu kalt war.

3. Tag – Bauhaus in Tel Aviv und Generalprobe

To be continued....