Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, Oktober 07, 2009

Ecuador - Quilotoa oder Im Land der Filzhuete

Liebe Freunde,

heute ist bei Jimmy und mir programmfreier Ruhetag ist. Naja nicht ganz, immerhin haben wir uns 2 Stunden nach Sueden und 1000m in Richtung Erdmittelpunkt bewegt. Baños heisst der Ort. Aber den beschreib ich euch erst, wenn ich hier etwas erlebt habe.

Wir waren also in Latacunga, einer, bis auf einen riesigen mit Fruechten, DVD-Kopien und Schuhputzern bevoelkertem Markt, unansehnlichen Provinzhauptstadt 2 Stunden suedlich von Quito, deren Buergersteige puenktlich um 19 Uhr hochgeklappt werden. Eine Nacht schliefen wir hier, denn nur von hier aus kann man den Quilotoa-Loop genannten Reigen im nahe gelegen Hochland bereisen. Am Samstag hockten wir uns schliesslich in den Bus, der uns nach Zumbahua (von Jimmy liebevoll Simbabwe genannt) bringen sollte. Direkt hinter Latacunga stieg die Strasse steil an, in die Berge. Ich glaube, es langweilt euch, wenn ich schreibe, dass auch diese Berge wieder beeindruckend waren. Aber Berge sind nicht gleich Berge. Diese hier waren sanft wie aus einem Herr-der-Ringe-Film, aber sandgelb ueberwachsen von dem allgegenwaertigen Steppengras. Einheimische sitzen auf einem gemuetlichen Stein und hueten ihre schwarzen Schweine, kuschelige Schafe oder stolzen Alpakas. Ehrlich gesagt ist es das erste Mal, dass ich Alpakas weiden sah. Dort hinten befindet sich mal ein Haus an der Strasse, auf dessen Dach vier Kinder Fussball spielen, aber ansonsten ist das Land fast menschenleer. Nach einer Stunde kamen wir durch Tigua, wo Einheimische bunte Bilder auf Schweinehaut, also Leder, malen. Und eine halbe Stunde spaeter erreichten wir Zumbahua. Ein Dorfbewohner machte uns leider sofort darauf aufmerksam, dass der Samstagsmarkt wegen dessen wir hier waren, leider schon abgebaut wurde. Reichlich gefrustet setzten wir uns erst einmal oberhalb des 200-Seelen-Dorfes auf die Wiese und Jimmy rauchte eine. Es dauerte nicht lange, bis unser Frust der herrlichen Landschaft Platz machte und wir beschlossen, einfach trotzdem hier zu blieben.

Wir fanden das Hostel des Ortes direkt am Markt, der im Uebrigen noch immer stattfand, und die gute Frau, die den Schluessel zum Hostel hatte, flitzte schnell, ihre Einkauf stehen lassend, um uns ihre Zimmer zu zeigen. Keines hatte Fenster, aber die Betten waren bequem und die Decken dick. Hier, auf ca. 3200m Hoehe, kann es nachts ganz schoen kalt werden. Wir stellten unsere Rucksaecke ab (wir hatten die grossen Reiserucksaecke nur mit dem Noetigsten fuer 3-4 Tage gefuellt. Der Rest, in Tueten und Regenpellen verpackt, stand hinter der Hoteltheke in Latacunga) und entschieden uns fuer eine kleine Wanderung ueber den Markt und in die Umgebung des Ortes. Der Markt beeindruckt leider nicht, da er sich praktisch nicht von dem in Latacunga unterschied, ausser das alle Marktbesucher und Marktfrauen Einheimische, eigentlich Ureinwohner, im spanischen "indígenas" waren. Indígenas tragen immer die gleiche Tracht: Altfrauenhalbschuhe mit leichtem Absatz wie meine Oma sie hatte, darin lange weisse Kniestruempfe oder eine Strumpfhose, einen Faltenrock aus dunklem, oft besticktem Samt, um die Schultern ein buntes Tuch und auf dem Kopf (gaaaanz wichtig!) einen Filzhut; mit und ohne Gamsbart. Dazu ein ernstes Gesicht, als ob man nicht viel zu lachen haette und fertig ist eine Indígenatracht. Achso, die Indígena von Welt traegt dazu noch entweder ein Goldhalskettchen oder unbequeme Pumps. Eine Indígena mit Pumps haben wir aber selten gesehen. Zugegebenermassen tragen sich die 20kg Reis schlecht in Pumps den Berg hinauf zur Huette. Aber vielleicht wisst ihr Frauen das ja besser....

Aber zurueck zur Geschichte. Jimmy und ich liefen also den Fusspfad oberhalb der Strasse aus dem Dorf dort um die Bergflanke herum und uns eroeffnete sich ein atemberaubender Blick. Ich versuche mal, ihn zu beschreiben: Rings um Zumbahua befindet sich eine Hochebene, die extrem flach ist, aber leicht vom Dorf weg abfaellt. Das Tal, bzw. die Hochebene wird von Bergen eingerahmt, die 300-600m hoeher liegen als die Ebene und die schachbrettartig die Felder der Indígenos tragen. Soweit, so gut. Doch nun hat der Bach, der durch Zumbahua fliesst ueber die Jahrtausende einen Canyon in die Ebene gefraest, der an Tiefe, Breite und Spektakularitaet gewinnt, je weiter er sich von Zumbahua entfernt. Und ich rede nicht von einem Graben, sondern einigen 100 Metern Tiefe und Breite. An dieser Stelle beschlossen Jimmy und ich, am naechsten Tag zu unserem 15km entfernten Tagesziel, der Caldera von Quilotoa, zu wandern. Den Abend liessen wir noch um die Ecke unseres Hostels bei frisch gegrillten Essen und einer gestressten Wirtin, sowie mit etwas Bier, das auf den Namen "Pilsener" hoert, und einer Runde Carcassonne ausklingen.

Der neue Tag, Sonntag, begann mit einer Tasse heissem Tee auf dem Balkon des Hostels ueber dem Marktplatz. Bitterkalt. Hoechstens 8 Grad. Wir fruehstueckten bei der schon wieder gestressten Wirtin, packten unsere Siebensachen, kauften einen Kaese, Brot und Wasser fuer ein Picknick und stiefelten los; immer entlang des Canyons. Es war zwar immer noch kalt, aber die Sonne brannte. Mamas Antinuklear-Sonnenschutzcreme wirkte Wunder und wir bewunderten die Szenerie um uns herum. Nach ca. 8-9 km und einem ausgiebigen Mittag in der Pampa entschieden wir dann aber, fuer heute genug gelaufen zu sein, denn die schoenste Pracht des Canyons lag hinter uns und die ansteigende und langweilige Strasse vor uns. Ein Bus nahm uns mit und so erreichten wir kurze Zeit spaeter mein bisheriges landschaftliches Highlight auf dieser Reise: Die Laguna de Quilotoa. Eine Caldera. Der auf 3400-3800m gelegene Vulkan war vermutlich 1280 mit einem Vulkanexplosivindex von 6 ausgebrochen (fuer die Nicht-Vulkanologen unter euch, d.h. ca. 10 Kubikkilometer ausgestossene Materie, oder fuer die unter euch, die mit Zahlen auf Kriegsfuss stehen: Es hat ordentlich gerumst!) und hat dabei eine Caldera mit 3km Durchmesser geschaffen, die wunderbar kreisfoermig ist und sich mit Wasser gefuellt hat. Ein Anblick, den ich wohl nie vergessen werde! Wir beschlossen daraufhin, hier oben bei einer netten Indígena zu uebernachten und der Caldera etwas Zeit zu widmen. Nach der obligatorischen Fotosession entdeckten wir einen Weg, der oben auf der schmalen Vulkankante einmal um den Krater herum fuehrte. Es war ja noch frueher Nachmittag und der tolle Blick aus allen Winkeln und Perspektiven hielt uns weiterhin in Atem. Gegen 15 Uhr erreichten wir die tiefste Stelle der Grates und Jimmy entschied sich umzukehren, waehrend ich die Caldera noch vor Sonnenuntergang zu umrunden gedachte. Und nun begann der schwierige Teil. Der Weg fuehrte hinauf zu der laut Wikipedia 3914m hohen Spitze des Kraters ueber dem See und es war im wahrsten Sinne nur ein schmaler Grat. Oft nur einen halben Meter breit und rechts ging es ebenso steil runter wie links. Aber wenn man den Blick nur auf den Weg heftet, geht es. Ab und zu setzte ich mich hinter einen Busch und genoss den atemberaubenden Blick (das lag wohl an der Hoehe) hinunter auf die Ebene und den noch viel tiefer liegenden Canyon auf der einen und auf den in der tiefstehenden Sonne glitzernden Kratersee auf der anderen. Gegen 16.30 begriff ich, dass ich meine Gratwanderung weder so rum noch so rum bis zum Sonnenuntergang beenden koennen wuerde. Was nun?, sprach Zeus. Weit unten, in der Naehe des Canyons entdeckte ich eine Huette und zu der begann ich muehsam, rutschend abzusteigen. Eine Stunde spaeter stand ich keuchend und endgueltig fertig auf einer Schotterpiste, die zu einem Hof fuehrte. Die Schafe waren schon in ihrem Gehege, die Sau saeugte ihre Ferkel und der Wachhund preschte bellend auf mich zu. Kurz vor mir erwischte ihn ein geworfener Topfdeckel und er liess mich in Ruhe. Eine filzbehutete Baeuerin trat auf 10m an mich heran und ich fragte auf spanisch nach einem Bus, Auto, Moped, Pferd, Esel irgendwas, was mich auf die andere Seite des Vulkans bringen konnte und erhielt: einen grenzdebilen Gesichtsausdruck. Die arme Frau sprach kein spanisch und ich kein Quechua. Scheisse. Sie drehte sich um und trabte langsam davon. Aber da der Hund immer noch anschlug, schaute nun auch der Hausherr nach dem Rechten und Halleluja, er sprach etwas spanisch. Ich lernte schnell, dass ich, aehnlich wie in Irland nicht einfach etwas fragen konnte. Erst musste mein Befinden, Heimatland, familiaerer Status, Name, der Name meiner Eltern und Beruf geklaert und in quichua uebersetzt werden, fuer die inzwischen vollstaendig angetretene Belegschaft des Hofes und ich liess bewundernde Worte ueber den Hof erklingen. Dann aber: Ein Koenigreich fuer einen Burro! Gibt es nicht, sagte mir der Bauer. Aber der Bauer da oben auf dem naechsten Hof kenne einen, der ein Motorrad hatte. Grmpf. Also noch einmal 1km bergauf zum naechsten Hof. Da ignorierte man erst einmal mein Rufen, dann rollte der Ball des Zweijaehrigen in meine Richtung und ich erhielt endlich Aufmerksamkeit. Nach erneuter Klaerung meiner personalen Daten und der milden Gabe von einem US-Dolar fuehrte mich der Hausherr schliesslich zum naechsten Dorf und zeigte mit den stolzen Besitzer eines motorisierten Gefaehrtes. Dieser praesentierte es stolz und ich lobte es staunend, um schliesslich nur 5 Dollar fuer die Fahrt zurueck zum Kraterrand zu bezahlen, denn mehr haette ich auch nicht bei gehabt. Aber schliesslich kam ich, eingepackt in Pullover, Windjacke, Wintermuetze und Schal (Muetze und Schal waren das Abschiedsgeschenk von Paolo in Kolumbien gewesen. Danke an dieser Stelle!), auf dem kleinen Moped noch in den Genuss eines Sonnenuntergangs ueber dieser wundervollen Landschaft. Fuenf nach Sechs, beim letzten Sonnenstrahl erreichten ich unsere Unterkunft und die rettende warme Dusche.

Jimmy war nicht weniger fertig als ich und so beschlossen wir, nach einem kleinen Abendbrot uns gleich in die Koje zu hauen. Nur waren alle Essensausgabestellen direkt nach Sonnenuntergang geschlossen und die nichtvorhandenen Buergersteige hochgeklappt, abgebaut und vergraben. Exakt niemand war mehr im Dorf und die Temperatur sank rapide. Durchgefroren fragten wir unsere Herbergsfrau, ob sie etwas zu essen fuer uns haette und fanden heraus, dass Abendbrot und Fruehstueck im Preis inklusive waren. Es gab lecker Quinoasuppe, Reis und Huehnchen und zum Nachtisch gesuesstes Tamarillokompott. Ein Festmahl. Zusammen mit ihren verschnupften, frierenden Kindern sassen wir noch einige Zeit um den Kanonenofen und verkruemelten uns dann in unsere Betten. Ein Laken, zwei Decken, eine Tagesueberdecke und mein Schlafsack reichten dann aus, um gut und erschoepft einschlummern zu koennen.

Am naechsten Tag entschieden wir wiederum, dass wandern, diesmal in die andere Richtung zum naechstgelegen Dorf an der Hauptstrasse, Chugchilán, eine super Idee waere. Es wuerde ja nur bergab gehen. Gut, Saecklein gepackt und los ging es. Zuerst liefen wir eine Stunde auf dem Grat entlang, den ich gesten noch nicht betreten hatte und dann begann der Abstieg in kalter, sengender Sonne durch Lupinen, Kiefern, Sand und Geroell. Nach 3 Stunden erreichten wir endlich ebenen Boden und das Dorf Guayama (zumindest klang es so). Eigentlich dachten wir, dieses Dorf waere schon unser Ziel Chugchilán, aber wir erfuhren, dass sich besagtes Dorf leider auf der anderen Seite des mindestens 200m tiefen Canyons befindet. Jimmy sank erschoepft zu Boden waehrend ich den Ort nach Moeglichkeiten zur Nahrungsaufnahme durchforstete. Leider fand ich nur eine Mini-Tienda, die nur Cola und Salzcracker fuer uns bereit hielt. Nach dem kargen Mahl berieten wir die Optionen: 1. Weitergehen. Wir hatten ja noch den ganzen Tag Zeit. - 2. Uns eine Bleibe hier im Dorf suchen und morgen weiterlaufen - oder 3. Uns jemanden mit einem fahrbaren Untersatz suchen, der uns rueber bringt. Wir entschieden uns fuer Nummer eins und folgten einem Schuljungen, der waehrend unserer Beratung auf uns gewartet hatte, um uns den Weg zu zeigen. 1 km spaeter fanden wir heraus, dass er uns wohl doch eher das Haus seiner Eltern zeigen wollten und so liessen wir ihn allein (das Arschlochkind), um entkraeftet an der Canyonkante weiterzustolpern und einen begehbaren Weg hinunter zu finden. Aber dort, wo wir liefen, gab es nur zwei Moeglichkeiten, nach unter zu kommen: mit dem Fallschirm oder Freitod.

Nach 1,5 Stunden fanden wir die Stelle wieder, an der wir Mittag gegessen hatten. Inzwischen war der Luftdruck stark gefallen und die dicken Regenwolken waren vom Vulkan auf etwa 100m oberhalb des Dorfes herabgestiegen. Also fragten wir jeden, den wir trafen nach einem fahrbaren Untersatz und fanden: einen Jeep. Der Besitzer erklaerte uns freundlich, dass ein Hinterreifen platt war und die Batterie leer. Aber das andere Haus gegenueber habe das zweite Auto des Dorfes. Einen Pickup. Nur sei der Fahrer gerade nicht zugegen. Wann kommt er denn zurueck?, fragte ich unbescholten. Vermutlich Donnerstag, lautete die Antwort. In 3 Tagen??? Ja. Gluecklicherweise entdeckte der 8-jaehrige Sohn des Fahrers einen Ersatzreifen und einen Wagenheber und so halfen wir ihm, das Rad zu wechseln. Als die Regenwolken uns erreichten, war der Jeep fahrbereit und uns erwartete eine 20km-lange Fahrt durch Nebel, Wolken, Wind und Wetter auf einer Schotterpiste, manchmal durch Baeche und auf einem Grat entlang, zurueck zum Vulkankrater. Wir bedankten uns herzlich und stiegen in den sich dort zufaellig befindenden Bus nach Zumbahua. An der Hauptstrasse erwischten wir dann einen Nachtbus zurueck nach Latacunga. Erst fuhren wir durch eine Waschkueche vorm Herrn, die sich spaeter zu einer Caspar-David-Friedrich-Stimmung oeffnete. Gegen 20 Uhr erreichten wir schliesslich dasselbe Hostel wir vor 3 Tagen, bekamen unsere Klamotten wieder und sanken fertig ins Bett.

Und das werde ich jetzt auch tun. Zwar war heute ein entspannter Tag, doch nun ist es spaet und morgen geht es frueh raus: In die Schlucht zum Amazonasgebiet. Doch davon ein andermal. Macht es gut und schlaft gut. Und natuerlich: Carpe diem,

Euer Stefan

2 Comments:

  • Mensch Stefan,
    so abenteuerlich hab ich dich gar nicht in Erinnerung. Gut, dass du bedingungslos den Spuren des lonely planet folgst hätte ich zwar eh nicht erwartet.. Aber gleich nachts in der Pampa eine Indiofamilie behelligen müssen, um nicht den Kältetod zu sterben, Respekt. Der ausgedehnte Aufenthalt auf den gemütlichen Panorama-Dachterrassen, von denen du uns immer vorschwärmst, scheint dir ja doch nicht so erstrebenswert, wie man beim ersten Lesen denken könnte. Auf jeden Fall hast du durch die ausgefallenen Abenteuer etwas zum erzählen :-) bzw. hier schreiben!

    Muchas grazias
    anomün

    By Anonymous anomün, at 00:27  

  • coole adventure-story -
    lesenswert ****

    By Anonymous riks, at 18:20  

Kommentar veröffentlichen

<< Home