Morz und wie er die Welt sah...

Sonntag, September 27, 2009

Kolumbien - San Águstin oder Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde

Liebe Freunde,

Luftlinie befinde ich mich ca. 1500km von dem Ort entfernt, an dem ich letztmalig meine geistigen Erguesse zu Papier, pardon, zu binaeren Speichereinheiten gebracht habe. Im Sueden. Ziemlich genau im Sueden. Eigentlich immer das Tal des groessten kolumbianischen Flusses, dem Rio Magdalena hinauf. Aber fangen wir in Taganga an.

Die Reise

Der letzte Tag in Taganga begann gemuetlich - aufwachen, die Zeit fuer zu frueh befinden, nochmal rumdrehen, ein paar Seiten lesen, wieder einnicken und schliesslich Jimmy vor der Tuer rummoren hoeren. Na gut, dann steh ich eben auf. Bei Jimmy ging der Tag gewohnheitsgemaess viel frueher los und er sass schon auf gepackten Sachen. Aber wir hatten ja noch ein paar Stunden in Taganga. Also packte ich auch meine Sachen, wir bezahlten das Hostel und machten uns dann daran, die kulinarischen Ueberbleibsel unseres Aufenthaltes in etwas Schmackhaftes zu verwandeln. Eine Stunde spaeter standen gebratenes Ei, mit Resten Schinkens und Kaeses, gekochte Kartoffeln und ein Gurkensalat auf dem Tisch. Kurz darauf waren sie verschwunden und zwei vollgefressene und -bepackte Gringos standen oberhalb des Hostels in Taganga am Strassenrand, um ein Collectivo in Richtung Santa Marta runterzuflaggen. Einmal umsteigen und wir naeherten uns dem Flughafen Santa Martas. Ich finde, Douglas Adams haette sich irren sollen, als er sagte "In keiner Sprache existiert die Redewendung 'schoen wie ein Flughafen'", denn der kleine Flughafen war wirklich niedlich: 3 Abfertigungsschalter, 2 Gates und der Aufenthaltsraum ist ein Café mit Deckenventilatoren, in dem es weiterhin frischgepresste Saefte und Arepas gibt. Das Café hat keine Waende, sondern gibt durch Palmen hindurch den Blick auf die karibische See und einen schmalen Strand frei, der seinesgleichen sucht. Nur der Roentgenscanner erinnert daran, dass man sich auf einem Flughafen und nicht in der Serie "Tropical Heat" befindet.

Um 16Uhr flogen wir mit der Nachmittagsmaschine von Santa Marta zurueck nach Bogotá. Trotz Ausschlafens raffte es Jimmy und mich kurz nach dem Start dahin und wir erwachten erst wieder, als sich die goldfarbene Sonne und das Flugzeug gleichermassen ueber der Sabana de Bogotá senkten. Wir erwarteten entspannt unser Gepaeck und versuchten dann, unseren Weg zum hauptstaedtischen Busbahnhof anzutreten. Als wir endlich eine Buseta in die richtige Richtung erwischten, war diese bereits voll. Man nahm uns trotzdem mit. Und nach uns noch gefuehlte 200 Menschen. Ich weiss nicht wie viele Menschen am Ende im Gang des 8m langen Busses standen, vielleicht 40, aber es war unmoeglich sich zu bewegen, geschweige denn umzufallen oder auszusteigen. Ich hielt mich zeitweise nur mit 3 Fingern an der Stange ueber Jimmy fest, waehrend sein Rucksack sich in meinen Bauch presste. Nach hinten wurde ich gebremst von meinem Rucksack, der sich gluecklicherweise im Gesicht eines auf der Rueckbank sitzenden Schlipstraegers verkeilt hatte. Nach rechts oder links drehen war auch nicht moeglich, denn der Kopf einer Stewardess hatte sich schon zu sehr mit meiner Achsel angefreundet und rechts hingen Menschen an wenigen Fingern aus der offenen Tuer. Jimmy und ich stimmten beide ueberein, dass das unsere krasseste Oelsardinenfahrt bisher war. Unser naechster Bus war geraeumiger. Es war der Nachtbus von Bogotá nach San Águstin und daher kein gewoehnlicher Bus, sondern ein "de lujo". Das zeigte man, indem man Schlafsitze hatte, Decken zum Schlafen austeilte, den Passagieren ein Croissant und eine Flasche Fluessige-Gummibaerchen-Saft in die Hand drueckte und mit der Klimaanlage zeigt, was man konnte. Dem Temperatursturz von 10°C von Santa Marta zu Bogotá folgte ein weiterer, ebenso grosser, von Bogotá vorm Bus zu Bogotá im Bus. Doch Jimmy draengelte sich eine Schlaftablettenbombe rein und ich griff auf ueberlagerte Kava-Kava-Wurzelextrakt-Reserven zurueck und so schlummerten wir frierend, nur unterbrochen von einem unsinnigen Tankstop irgenwann gegen 2 Uhr morgends, bei dem alle wegen der Explosionsgefahr von Diesel(!) aussteigen mussten, bis 6/7 Uhr morgens 8 Stunden durch. Inzwischen hatte sich die Landschaft geaendert und praesentierte sich in einem fuer Jimmy neuen Gewand: schoene schroffe Kordillerenzuege. Da standen Kaffeeplanzen, dort wuchsen Plátanos und Lulo und dahinten hatte sich ein Fluss in das Tal gegraben. Gegen 8 Uhr morgens erreichten wir San Águstin.

Freitag - San Águstin

Vor dem Bus warteten schon 10 Einheimische und ich erwartete, dass sie ueber uns herfallen wuerden, wie die Geier. Aber, oh Ueberraschung, wurden wir nett und unaufdringlich gefragt, ob wir schon wuessten, wo wir zu naechtigen gedachten. Und wir wussten; aufgrund eines Tipps von Néstor, der vor 6 Wochen etwas Zeit hier verbracht hatte. So bot man uns billig eine Fahrt mit dem Jeep an und fuhr uns dorthin: Ins Casa de Nelly. Dieses Hostel liegt etwas bergauf vom Ort, schon abgeschieden und wunderschoen gestaltet. Hier nahmen wir uns eine Cabaña, ein Huette, die fast vollstaendig aus Holz und Guadua, dem lokalen Bambus und aesthetisch gesehen mein Lieblingswerkstoff hier, gebaut war. Trotzdem gab es Strom und Warmwasser. Fuer den Bau zeigt sich ein kettenrauchender kolumbianischer Althippie mit ergrautem Pferdeschwanz verantwortlich, der total relaxed seine Saetze immer mit "Hermano,....." beginnt. Jimmy und ich waren sofort hin und weg ob der wunderschoenen Unterkunft. Und billig ist sie noch dazu. Nach dem Duschen und Ausruhen machten wir uns auf in das eigentliche Dorf San Águstin. Dort fanden wir eine kleine Dorfkirche, ein leckeres Mittagessen und den Einkauf fuer unsere weitere Ernaehrung. Am fruehen Nachmittag schlenderten wir die Strasse entlang hinauf zum eigentlichen, touristischen Highlight der Gegend, dem Parque Arqueologico. Von etwa 3300 v.u.Z. bis etwa 900 u.Z. hatten hier fortschrittliche Voelker gelebt, deren einzige Hinterlassenschaft massive Steinstatuen und Huenengraeber sind. Man weiss nicht viel ueber sie. Wir wussten noch gar nichts und wurden inmitten unserer Wanderung vom Regen ueberrascht. Eine alte Dame gab uns Obdach und bereitete uns Café und Ananassaft zu. Nach dem Regen gings weiter und wir erreichten den Park ueber eine frische geteerte Strasse, deren Teer seitdem die Loecher in der Sohle meiner Schuhe stopft. Der Park selbst ist sehr gut unterhalten, hat steinerne Wege und gemaehten Rasen. Er ist weitlaeufig und das Beste, komplett frei jedweder Besucher. Wir genossen die zwitschernd, pfeifende Ruhe der umliegenden Guaduawaelder und liessen uns von 5m hohen Vulkangesteinplatten mit ausgearbeiteten Profilen der Haeuptlinge dieser verschollenen Kultur beeindrucken. Manche sahen aus wie Voegel, manche wie Astronauten (Daeniken laesst gruessen) und alle besassen Jaguarzaehne, da der Jaguar eine wichtige Gottheit war. Die Huenengraeber waren beeindruckend in der Groesse der verwendeten Steinplatten und erinnerten an aehnliche Werke auf Malta, Sardinien, Irland oder der Bretagne. Gegen 18 Uhr erreichten wir geschafft unser Hostel, kochten uns lecker Nudeln, benutzten unsere letzten verbliebenen Hirnzellen beim Carcassonne-Spiel und kippten dann frueh ab ueber die Tragflaeche.

Samstag - Immer noch San Águstin

Nach einem Fruehstueck der Reste des Abendbrots vom Vortag erwarteten uns vor dem Eingang zum Hostel zwei wunderschoene Geschoepfe. Ein Herr mit Sommersprossen und eine Dame mit tollem kaffeebraunem Haar. Sie wurden uns als Pecas (Sommersprossen) und Mariposa (Schmetterling) vorgestellt und trugen uns am heutigen Tag auf ihren Ruecken durch die Landschaft um San Águstin. Das letzte und nach meiner Erinnerung einzige Mal, dass ich auf einem Pferd sass, war bei einer Kur auf Usedom. Ich war damals vielleicht 8 Jahre alt und das Pferd wurde am Zuegel gefuehrt. Bei Jimmy sah es aehnlich aus. Aber wir machten beim Aufsteigen beide eine gute Figur und wo bei einem Pferd die Steuerung sitzt, hatte ich auch schnell raus. Das mit der Servolenkung klappte sehr gut. Und die Bremse hatte ich auch gefunden. Nur das Gaspedal fand ich erst einige Zeit spaeter. Pferde besitzen darueberhinaus noch andere eingebaute Schnickschnacks, wie ESP und Allrad- bzw. Allhufantrieb, was sich fuer den spaeteren Tag als wichtig erweisen sollte. Aber zuerst trabten wir gemuetlich ins Dorf hinunter und Jimmy und ich gewoehnten uns an die ungewohnte Sitzposition und die toll erhoehten Sichtweise auf die Dinge. Die Pferde ihrerseits fragten sich sicherlich, was fuer schwere Gringos auf ihnen Platz genommen hatten, warum die nicht ihre Signale verstehen konnten und warum zum Teufel sie heute morgen unbedingt als erste den Kopf aus dem Fresstrog hatten heben muessen. Jimmies Stute trabte immer vorneweg, quasi der Mercedes unter den Pferden - mit eingebauter Vorfahrt serienmaessig - die Stute von Juan, unserem Guide fuer heute zuletzt und mein Wallach dazwischen. Er stellte den Oeko unserer Truppe, denn im Gegensatz zu den anderen beiden lief er nie auf den Wegen, sondern auf dem weicheren, bewachsenen Rand der Wege. Das versetzte mich in die einmalige Lage, die Samen saemtlicher hoeherer Blutenpflanzen dieser Region mit meinen Klamotten einzusammeln. Darueberhinaus kann ich euch auf Anfrage gerne mitteilen, welche dieser Pflanzen Dornen besitzen, oder scharfkantige Blaetter und bei welcher Kopfhaltung sie am wenigsten neue Augenbrauen ins Gesicht schnitzen. Aber Pecas war kraeftig und trittsicher.

Unser erstes Ziel hiess La Chaquira. Wir wussten zwar nicht, was La Chaquira ist, aber es hoerte sich gut an. Wie die beruehmte kolumbianische Saengerin. Und ebenso wie sie, fanden wir kurz darauf heraus, dass La Chaquira ziemlich gut aussah. La Chaquira ist eine spektakulaere Schlucht, die der laengste kolumbianische Fluss, der Rio Magdalena, ueber die Jahrmillionen in den Fels gefraest hatte. Sie war steil, komplett gruen ueberwachsen und vielleicht 300m tief. Mein erster Gedanke war: Was fuer eine monumentale und umwerfende Landschaft! Mein zweiter: Die Pferde koennen uns unmoeglich auf diesem schmalen Pfad hinunterbringen. Doch sie konnten! Und seit dem habe ich tiefen Respekt vor Pferden, denn ich weiss nicht, ob ich es allein geschafft haette, ueber diese Steine, Bachbetten und auf dem stark von Pflanzen ueberwachsenen Weg die Schlucht ohne Verletzung hinunter und wieder hinauf zu kraxeln. Manchmal wurde mir ganz anders, als mein Wallach sich in der Kopf gesetzt hatte, auf dem 20cm breiten Grasbewuchs zwischen Pfad und 300m tiefer Schlucht zu balancieren, aber mit Vertrauen und tiefem Durchatmen ging es weiter. Und so hatte ich genug Zeit, die Landschaft auf mich wirken zu lassen, die wunderschoenen kleinen gelben, handtellergrossen blau-schwarzen und all die anderen Schmetterlinge zu beobachten, den fernen Gesaengen unbekannter Voegel zu lauschen und mir das Gruenzeug vom Gesicht fernzuhalten. Auf der anderen Seite der Schlucht angekommen, ritten wir durch Gaerten, in denen Kaffee, Zuckerrohr und Lulo angebaut werden. Die Bauern gruessten nett und kleine Kinder wunken. Ausserdem lernte ich, dass bei einem leichten Galopp ein geeigneter Sitz dafuer sorgt, dass die kuenftige Familienplanung auch ohne Suspensorium nicht umgeschrieben werden muss.

Gegen 11Uhr erreichten wir den Park "Alto de los Ídolos", der ebenso wie der archaeologische Park in San Águstin geplegt, schlicht und menschenleer war. Auf einer Anhoehe mit Blick in die gesamte Region hatten sie Ureinwohner ihre Stammesvaeter in Sarkophagen und mit Steinstatuen begraben. Heute, wo die Steingoetzen ueber gemaehtem Rasen thronten, noch mehr als damals, ein Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit, an dem ausser dem Zirpen der Insekten kein Laut zu vernehmen ist. Zwei Stunden spaeter waren die Pferde ausgeruht und wir satt von unseren geschmierten Stullen und zurueck ging es auf demselben Weg durch die Schlucht. Am Nachmittag sahen wir dann noch eine weitere Staette, El Tablón, sehr in der Naehe von San Águstin und zurueck im Dorf dankten wir unserem Guide und unseren erschoepften Pferden fuer diese einmalige Erfahrung.

Morgen verlassen wir dann San Águstin, um unseren langen Weg nach Quito anzutreten. Die erste Station wird Popayán auf der anderen Seite der Kordilleren sein und ich bin guter Dinge, dass mein Hintern morgen ebensowenig wie jetzt schmerzt und ich meine Gedanken stattdessen auf die schoene Landschaft richten kann. Bis zum naechsten Bericht wuensche ich euch alles Gute und bis bald. Carpe diem,

Euer Stefan