Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, September 09, 2009

Kolumbien - Die Nevados

Liebe Freunde,

es ist Dienstagnachmittag und ich bin nach langer Zeit endlich mal ohne Arbeit. Es ist nicht so, dass ich mich hier sonst totmachen wuerde, bestimmt nicht, aber ich hab den ganzen Nachmittag den Kopf frei und werd mal versuchen, euch von meinem letzten Wochenende zu berichten.

Ellen war wieder gesund und daher gesellte sich meine treue Reisebegleiterin dieses Wochenende wieder zu mir, diesmal mit einem kolumbianischen Freund im Schlepptau, Paolo. Ausserdem hatte sich Néstors (siehe letzte Woche) Wochenende in Buenaventura zerschlagen, so dass er sich kurzerhand uns anschloss. Gut, nachdem die handelnden Personen vorgestellt wurden, nun das Setting. Unser Ziel hiess Manizales.

Manizales ist die Hauptstadt des Departementos Caldas, benannt nach dem kolumbianischen Patrioten Francisco José de Caldas, aber das ist nicht wichtig. Manizales, Pereira und Armenia, und somit ihre 3 Bundeslaender Caldas, Risaralda und Quindio liegen nur wenige Stunden auseinander und formen zusammen die Zone Cafetera, die Region in der der in Deutschland so bekannte kolumbianische Kaffee angebaut wird. Frueher war das mal ein Bundesland, aber man konnte sich nicht ueber die Kaffeeeinkuenfte einigen und so sind es jetzt eben drei.

Ich konnte am Freitag eher Schluss machen als die anderen. So setzte ich mich schon um 17Uhr in den Bus und fuhr nach Manizales, um alles zu buchen und vorzubereiten. Die kurze Entfernung nach Manizales (94km) hatte leider auch ihre Nachteile, denn so gab es nur kleine Busse, bei denen man die Knie am Kinn plaziert und der Busfahrer an jeder Milchkanne haelt. Manchmal auch um ein Paket abzugeben. Aber um 20.30 erreichte ich schliesslich Manizales. Wie schon bei Medellín und Armenia, ueberwaeltigte mich der Blick hinunter ins beleuchtete Tal, kurz bevor man die Stadt erreicht. Myriaden kleiner Laempchen zeichnen die Topografie des Tals nach und manchmal erhebt sich in der Mitte ein schroffer Felsen, der unbeleuchtet wie ein Abgrund wirkt. Ich bestieg also ein Taxi, dass mich zu meinem Erstaunen nicht wie bei anderen Staedten ins Tal, sondern hinauf in die Berge fuhr, wo man aus Flucht vor einem der zahlreichen Buergerkriege vor gut 100 Jahren das Zentrum hingelegt hatte. Insgesamt liegt Manizales etwas hoeher als Armenia, auf ca. 2100m Hoehe und so herrschten am unbeleuchteten Parque Caldas angenehme 22 Grad. Die Reiseagentur, die ich hier fuer unsere morgige Tour in die Berge suchte, war natuerlich schon zu und so galt es nur noch eine Unterkunft zu finden. Die war nach einem Tipp von vor einer Billardbar rauchenden alten Herren schnell gefunden. Sauber, geraeumig und gut zu finden. Und unsere Bergtour konnte ich ebenfalls hier buchen. Prima. Also Sachen hingeschmissen, nochmal einen Rundgang an der Kathedrale, den Billardbars (hier spielen nur Ueber-50-jaehrige Billard, aber herrliches 3-Band) und an einigen Tangobars vorbei, noch schnell ein Pils fuer die noetige Bettschwere genehmigt und dann ab ins Bett. Es sollte ja morgen frueh losgehen.

Gegen Mitternacht, ich war grad eingeschlafen, vernahm ich ein "Guten Abend, wie geht's?" neben mir. Man, Ellens Stimme hoerte sich aber tief an. Und erst die schwarzen Locken..... Dann kombinierte mein verpeiltes Hirn, dass mich gerade ein Kolumbianer auf deutsch angesprochen hatte. Am naechsten Morgen stellte sich heraus, das war Paolo, Ellens Begleitung, aber in diesem Moment drehte ich mich nur verwundert um und lauschte weiter den Erzaehlungen meines Kopfkissens.

Halb 6 klingelte der Wecker. Scheissding. Die Sonne ging grad auf und so quaelten wir uns aus den Betten und unter die Dusche. Kurze Zeit spaeter stand auch Néstor in der Tuer, der die Nacht ueber von Bogotá durchgefahren war, und um 6.30 sassen wir alle in einem ueberalterten, von rauer Strasse gezeichneten Jeep, mit einem Fahrer, auf den dieselben Attribute zutrafen. Er brachte uns und 3 andere Kolumbianer in die nahe liegenden Zentralkordilleren. Zum Fruehstueck gab es heisses Agua de Panela (mit Rohrzucker gesuesstes Wasser), Ei und Arepa. Und langsam begriffen wir, dass die beginnenden Kopfschmerzen nicht von der kurzen Nacht, sondern den 3700m Hoehe unserer schoen an den Haengen der Anden gelegenen Baude stammten. Hier verliessen wir die Hauptstrasse und fuhren auf Schotterstrassen weiter in Richtung Parque Nacional de los Nevados. Paolo neben mir sagte einige Meter weiter, er sehe zu wenig und war, schwupps, durchs Fenster verschwunden und auf das bockig schaukelnde Dach geklettert. Da der Fahrer nichts dagegen hatte, machten Ellen und ich es ihm, schwupps, nach und genossen fortan den herrlichen Blick auf die Gebirgslandschaft vom Dachgepaecktraeger des Jeeps aus. Beim Zuecken der Sonnencremes hatte ich mit meinem Faktor-30-Antiatomschlagblocker gewonnen und mit Windjacke, Pullover und Sonnenbrille waren wir nun bereit, es mit der Hoehe aufzunehmen.

Zuerst sah die Landschaft aus, wie Irland mit schrofferen Felsen, oder der Hohe Atlas mit Vegetation, auf deutsch, schoen rauh und karg. Doch es wurde karger. Die Wiesen wichen dem Páramo, der Hochlandsteppe dieser Region. Nun waren es nur noch die Frailejones, die ueber der Trockengraesern thronten. Nach einer Stunde spektakulaerer Landschaft erreichten wir schliesslich den Eingang zum Nationalpark und Filipe, ein Bergfuehrer des Parkes gesellte sich zu uns. Er erzaehlte uns viel ueber die Landschaft und die Vulkane, zum Beispiel ueber unser Ziel Nevado del Ruiz, der mit seinen 5325m der hoechste Berg dieser Region ist und vor 20 Jahren bei einem Ausbruch 20000 Menschenleben ausloeschte. Heute aber schlummerte er brav am Horizont. Als wir im naeher kamen, wich der Páramo langsam aber sicher feinsten Sand- und Geroellfeldern, auf denen man in aller Ruhe die Mondlandung nachstellen koennte, ohne dass jemand den Unterschied merken wuerde. An den scharfen Abhaengen 200m vor uns tanzten die entstehenden Wolken und uns zischte inzwischen ein bitterkalten Wind um die Ohren. Gegen 11 Uhr erreichten wir El Refugio, die letzte Huette auf 4800m. Die Kopfschmerzen hatten sich zu einer ausgewachsenen Migraene entwickelt, und nur das Wissen, dass nach dem Abstieg am Nachmittag alles wieder okay sein wuerde, liess uns weiter nach oben schauen. Kurz nachdem wir uns ein paar Kekse als Staerkung gegoennt hatten, sagte uns der Bergfuehrer, dass essen auf die Hoehe besser zu unterlassen sei, da der Koerper unter Sauerstoffmangel die Verdauung einstellt. Danke fuer die Info. Ueberhaupt lernte ich viel ueber grosse Hoehen. Ich glaube, das Gehirn stellt allgemein seinen Dienst ein, denn man fuehlt so eine komische Leere in dem Hohlraum, der einmal Kopf hiess, und man kann dieses Ding nur noch schlecht zum Arbeiten ueberreden. Néstor berichtete mir von einer witzigen Situation im Auto waehrend der Anfahrt. Er hatte die neben ihm sitzende Frau etwas gefragt, aber die Frage schon vergessen, bevor er zuende gesprochen hatte. Als sie dann fragte, was die Frage war, war er narkoleptischerweise einfach weggenickt. Oben auf dem Dach gabs durch den Fahrtwind mehr Sauerstoff, aber ein Sprung vom Autodach bei El Refugio zeigte mir sehr schnell, dass jedes Ueberholen einer Schnecke hier zu Herzrasen und Um-die-Wette-Keuchen fuehrt. Naja, trotzdem ging es jetzt an den sportlichen Part. Um den Nevado del Ruiz ganz zu besteigen, haette man akklimatisiert sein muessen. Wir wollten nur 1200m weit auf 5150m steigen. Die guten Bergstiefel und Winterklamotten hatte ich an, also los gehts.

20m von dem Auto entfernt, hatte ich gefuehlt einen Halbmarathon hinter mir. Aber weiter gings. Ich war immer etwas langsamer als die anderen, vielleicht kann man sagen, eine Schnecke die eine Herde Schildkroeten verfolgt, aber ich hab ja auch mehr sauerstoffdurstige Zellen mitbringen muessen. Selbst schuld. Auf ca. 4900m kannte ich noch die Namen meiner Reisebegleiter, doch auf ca. 5000m musste ich zu lange darueber nachdenken, wie zum Teufel mein eigener Name lautet. Gut, Zeit, die Segel zu streichen. Es heisst ja schliesslich: Compartir, no competir! Also, dem Bergfuehrer klar gemacht, ich werde auf die Gruppe bis zu ihrer Rueckkehr warten und so hockte ich mich hinter eines Felsen mit Blick hinunter auf tolle, tiefer liegende Krater. Die Schneegrenze lag ungefaehr auf dieser Hoehe, doch ueber mir gab es noch ein Sand- und Geroellfeld.

Dann brach der Sturm los. Besser gesagt, er drehte ueber das Sandfeld, so dass feinster Sand mit 80km/h sich in Gesichter, Haende, Nacken und Kameras fraeste. Sichtweite knapp 10m. Das wuerde ich nicht lange aushalten, also Abstieg. Der ging viel besser als gedacht. Und eine Gruppe Polizisten wunderte sich, ob des aus der Hoehe herunterkommenden Yetis mit Sonnenbrille (und tollen, bequemen und trittsicheren Schuhen!). Nach 30 Minuten hatte ich die Huette wiedergefunden und brauchte all meine Kraft, die Tuer von ihnen wieder zu schliessen. Und welch tollen Geruch vernahmen meine frisch entstaubten Nuestern? Heisse Schokolade! Ein Koenigreich fuer eine Tasse heisse Schokolade! Sie war billiger (ich haette ja auch kein Koenigreich gehabt) und ich sank zufrieden auf die Bank in der Ecke.

Die anderen erreichten eine halbe Stunde spaeter die Huette, bzw. den Jeep und fielen waehrend der Abfahrt in komatoesen Schlaf. Gegen 16Uhr erreichten wir wieder unsere Baude, wo es typisches Paisa-Essen (Suppe und Reis mit Patacón und Rindfleisch) fuer uns gab. Der Staub sass uns zwar immernoch ueberall, aber das Essen schmeckte herrlich. Ich glaube, selbst gegrillte Ratte haette zu diesem Zeitpunkt herrlich geschmeckt.

Der Tag war noch nicht vorbei, und so fuhr uns der Jeep noch in ein nahegelegenes Restaurant/Hotel auf dem Dorf, das sich des Besitzes von Thermalquellen ruehmen konnte. Also staubige Sachen aus und hinein in das *haaaaa-schhhhhh* heisse Wasser. Das tat gut. Im Wasser sitzen und sich den umliegenden Regenwald anschauen......toll......doch was brennt so an den verausschlagten Fingern? Dann beging ich den Fahler unterzutauchen. Und tauchte mit brennenden Augen, Nase und Mund wieder auf. Diese heisse (Vulkan-)Quelle besass genug Schwefel um es pH-Wert-technisch mit jeder Cola aufzunehmen. Irgendwo kurz vor Magen- oder Batteriesaeure. Meine Lippen pellen sich heute noch. Bei den anderen schien das Fuehlen langsamer wiederzukommen und so machte ich es mir, nach einer kalten Dusche mit Frischwasser und einem Kaltgetraenk nach Pilsener Art in der Hand am Beckenrand im Liegestuhl gemuetlich und schaute den Nixen beim Baden zu. Nach Sonnenuntergang brachten uns Jeep und Fahrer zurueck nach Manizales, Ellen fuhr zurueck nach Armenia und wir Jungs liessen den Tag in einer Bar ausklingen.

Néstor und Paolo verliessen Manizales frueh am naechsten Morgen. Ich hatte aber beschlossen, die auf den ersten Blick etwas unspannende Stadt etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Zuerst fruehstueckte ich gemuetlich und beendete mein derzeitigen literarischen Zeitvertreib "Maya" von Jostein Gaarder. Dann bummelte ich ueber die Plaza Bolívar und bestaunte die obligatorische Skulptur des Liberadors, der hier ganz modern zur Haelfte in einen fliegenden Kondor umgearbeitet war. In der Kathedrale am Platz war gerade Messe, aber man konnte den Turm besteigen. Schlappe 465 Stufen. Aber nur mit Fuehrung. Die Fuehrung war unsaeglich langweilig, mit Witzen des Ortskundigen wie "Raten sie mal, wie die Kirche da drueben heisst! Mmh, na? San Antonio. Antonio, wie ich...hihi..." *Gaehn*. Aber der Aufstieg war spektakulaer. Zwar mit Gittern gesichert, konnte man den zentralen Kirchturm nur ueber die auf 40m Hoehe gelegenen Giebel des Kirchendaches erreichen. Da ging mir die Muffe, und das lag nicht am fehlenden Sauerstoff. Das hatte noch Ausbaupotential denn als wir den bruechigen Balkon an der Spitze des Turm erreichten, konnte ich zwischen meinen Fuessen 100m unter mir die Plaza Bolívar sehen. Und dann setzte sich ein Rabengeier auf die Bruestung. Das hebt die Stimmung. Der Ortskundige stieg dann noch auf die zugebenermassen vergitterte Bruestung, um Photos von und fuer die Touristen zu schiessen unds sagte stolz, dass wir uns nur 8m unterhalb des fuenfthoechsten Kirchturmes der Erde aufhalten wuerden. (*pssst* Ich hab das mal bei wikipedia recherchiert und die Kathedrale rangiert mit ihren 113m nur irgendwo auf Platz 40, hinter der Sagrada Familia und dem Schweriner Dom. Aber hoch war das trotzdem.).

Wieder unten angekommen, schlenderte ich noch durch Strassen, die ich nachts besser nicht betreten sollte hinauf den Stadtteil Chipre, der an der einen Seite spektakulaer von einem Abhang ueber das Tal von Manizales begrenzt wird. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon meinen letzten Film verknipst, also tut mir leid, Bilder davon wird es nur in meiner Erinnerung geben. Der Nachmittag bestand dann aus Bauchvollschlagen bei Marco Pollo (cooler Name, oder?) und der entspannten Rueckfahrt nach Armenia. Dort liess ich den Tag mit einer Fernseh-Doku ueber Zweitkarrieren Mitvierziger (eine wohnte im Hollaendische Viertel in Potsdam) auf Deutsche Welle TV ausklingen, da meine Gastfamilie unterwegs war.

Ansonsten ist gestern und heute nichts spannendes passiert; ausser gestern Nacht. Mathilde, meine derzeitige Mitschlaeferin und Hauskatze meiner Gastfamilie weckte mich gegen 3.30 Uhr durch beherztes Mauzen an der Zimmertuer. So geweckt, hatte ich nun die Chance, das kurz darauf folgende Wackeln saemtlicher Moebel meines Zimmer mitzuerleben. Ein Erdbeben. In einer Minute war es vorbei und gefaehrlich war es auch nicht, aber immerhin hat alles gewackelt. Da musste ich morgends gleich nach dem Aufstehen bei meiner Wein- und Tanzpartnerin Marisol im seismologischen Observatorium anrufen und fragen, wo das Epizentrum lag, wieviel auf der nach oben offen Richterskala wir erreicht hatten und ueberhaupt. (100km westlich von hier im Bundesstaat Chocó, 4.5 und ansonsten nichts besonderes) Fuer die Kolumbianer war das alles unspektakulaer. Die meisten haben sich einfach im Bett wieder umgedreht und gedacht: "Ach, schon wieder so ein Erdbebchen!"

Naja, ich wuensche euch auf jeden Fall eine ruhige Nacht ohne groessere Erdbeben und ansonsten alles Gute. Bis bald und carpe diem.

Stefan

:::::::::::::::: Die Photos wurden freundlicherweise von Paolo zur Verfuegung gestellt::::::::::::::::

2 Comments:

  • Hallo Stefan,

    das ist ja alles ganz prima, aber... Wo bleiben die Fotos - besser Videos - vom Salsa? War das mit dem Kurs nur ein leeres Versprechen? ;-)

    Weiterhin fleißig am PC mitreisend

    Dirk

    By Anonymous Dirk, at 23:40  

  • Hab nur einmal ein Freundin besucht, die mir Salsa beibringen wollte. War ganz nett fuer diesen Abend, aber tanzen ist schlicht nicht meins. Es gibt so viel anderes in der Welt.

    Und darueber hinaus ist ein Tanzvideo von mir wohl auch keine Augenweide.

    By Blogger Morz, at 21:42  

Kommentar veröffentlichen

<< Home