Morz und wie er die Welt sah...

Freitag, August 21, 2009

Kolumbien - Der Pazifik

Hallo Freunde der Nacht,

ich bin hier wieder etwas rumgekommen. Letzten Montag im Mittelalter hat bestimmt auch wieder irgendein Kolumbianer die Welt veraendert, denn nun ist er ein Feiertag. Und ihr kennt mich. Drei Tage Zeit und nichts zu tun, d.h. ich hau ab und schau mir das Land an. Den Norden hab ich schon etwas gesehen, also ging es dieses Mal nach Sueden. Oder Westen. Erst nach Sueden, dann nach Westen. Aber fangen wir mal methodisch an.

Mein Ziel hiess Buenaventura und zum ersten Mal waren sich alle befragten Kolumbianer einig: Buenaventura ist haesslich, dreckig und nicht gerade der Platz, an dem man seine Kinder allein lassen sollte! Ich denke, die Antwortflut der anderen Auslaender auf meine Wer-will-mitkommen-Mail hielt sich deswegen in Grenzen, weil ich das ehrlicherweise auch so schrieb. Aber meine inzwischen treue Reisebegleitung Ellen rief mich am Abend vor der Abfahrt an und schloss sich mir an. Baptisten sind furchtlos! Liegt wohl am Glauben.

Wir brachen also Samstag frueh mit einem Kleinbus in Richtung Cali auf und erfreuten und schon kurz hinter Armenia an ebenen Strassen und tollen kleinen runden Huegeln in der Landschaft. Nach etwa 2 Stunden erreichten wir Buga, besser gesagt irgendeinen Strassenrand kurz vor Buga, an dem uns der Busfahrer rauswarf, um nicht in den Ort hineinfahren zu muessen. Von Buga aus fuehrt die einzige Strasse durch die Westkordilleren in Richtung Buenaventura. Der Fahrer unseres Vans (es wollten wohl auch wenige Kolumbianer nach B.) bekam wahrscheinlich einen Preis dafuer, dass er auf der gesamten dreistuendigen Fahrt nie selbst ueberholt wurde, wohl aber selbst 362 Autos ueberholt hatte. Auch im Tunnel. Bei Gegenverkehr. Ohne Licht. Naja, wir kamen an. Und es war heiss draussen. Das lag daran, dass wir nun nicht mehr auf 1.500m Hoehe waren, sondern am Meer. Am Pazifik, um genau zu sein. Buenaventura ist der einzige und damit wichtigste pazifische Hafen Kolumbiens, doch das war uns egal. Wir wollten ja eigentlich gar nicht hierhin, sondern in ein Boot. Dieses Boot gehoerte einer Gesellschjaft mit dem bedeutenden Namen Transjuanchaco, war etwa 8m lang, 2,5m breit und die anderen 35 Insassen machten ebenso wie wir die Erfahrung, wie sich Oelsardinen im Regal eines Supermarktes fuehlen. Aber es gab Rettungswesten und die Aussicht war atemberaubend. Erst gab es ausgedehnte Mangroven mit Silberreihern und Stelzdoerfern, dann schroffe Felsen und Felsinseln mit ueberbordender Vegetation. Und ueber dem Meer schwebten Pelikane. Toll. Langsam naeherten wir uns einem Haufen verrosteten, schwimmenden Metalls. Kurz bevor wir anlegten, gab sich das Ding als Fischtrawler zu erkennen. Was fuer ein Seelenverkaeufer. Und der Fahrer unseres Schnellbootes uebergab dem Kapitaen ein blitzblankes Zahnrad und der Groesse eines Kinderfahrradreifens. Was fuer ein Kontrast. Wir fuhren weiter an der Kueste entlang, im Westen faerbte sich langsam der Himmel rot, und erreichten nach etwa eine Stunde spaeter unser Ziel, die Bucht vor Juanchaco. Und was sahen unsere entzuendeten Augen? Einen Wal! Stefan hat einen Wal gesehen! Das erste Mal in seinem Leben! Mit schoenem grauen Ruecken! Da war einer aber gluecklich.

Juanchaco selbst in ein Fischerdorf, voll mit liebenswuerdigen schwarzen Menschen. Hier ist jeder schwarz, weil ausser geflohenen und befreiten Sklaven hier vor 200 Jahren keiner wohnen wollte. Die Haeuser stehen auf Stelzen, die Menschen essen Fisch und der einzige Dorfpolizist wird von jedem auf ein Bier eingeladen. Ellen gefiel das Dorf ebenso wie mir und so verstanden wir nicht, warum sich die Touris (nur Kolumbianer, keine Auslaender weit und breit) ins Nachbardorf Ladrilleros schippern liessen (hier gibt es nur 2 Doerfer, ansonsten Dschungel, Meer und Himmel soweit das Auge reicht). Wir jedenfalls machten es uns in Juanchaco gemuetlich und finden an, die Unterkuenfte abzuchecken. Alle 3. Und nur eines hatte ein Zimmer mit 2 Betten. Leider standen noch weitere 4 Betten in diesem Zimmer, die wir mitbuchen mussten. Alles roch ein bisschen muffig, aber bei 6000mm Regen im Jahr auch kein Wunder (zum Vergleich: Sumatra hat 3000mm und Potsdam 570mm). Zufrieden mit unserer Wahl setzten wir uns bei einer alten Dame ins Restaurant, assen Fisch (mit Reis und Patacón, wie alles in Kolumbien) und schauten kleinen schwarzen Kindern beim Fangespielen im Sonnenuntergang zu. Als ich spaeter ins Bett ging, fing es an zu regnen. Beeindruckender, tropischer Regen. Und der Donner brachte mich mehrfach auf die Idee, ich sei unter einem Artilleriegeschuetz eingeschlafen.

Der naechste Tag fing da an, wo der andere aufgehoert hatte: Mit durchgehendem Starkregen. Die Fischer schauten verstohlen durchs Fenster und flickten weiter ihre Netze im Haus. Ich setze mich auf unsere Veranda, genoss den faulen Tag und den Regen und schrieb einen Brief. Nur meine hibbilige Reisebegleitung hatte Tatendrang. Und das unbaendige Bedurefnis, ihren Freund anrufen zu muessen. Es gab in diesem Nest sogar einen Computer. Mit Internetanschluss. Wir machten uns also auf den Weg und als wir durchnaesst den Internetfachbetreuer des Dorfes um Einlass baten, sagte er uns, wenns regnet, gibt es keine Internetverbindung. Die besteht nur bei Schoenwetter. Schwarze Katze, weisser Kater laesst gruessen: "Giess mal den Telefonmast!" Wir trollten uns also wieder.

Am fruehen Nachmittag dann klarte es etwas auf und wir konnten schliesslich hinunter zum Hafen, um den eigentlichen Grund der Reise anzutreten: Wale beobachten! Also wieder rein in die Schaluppe und bei aufgewuehlter See raus auf den Pazifik (Mama, du magst dich jetzt an unsere Fahrt nach Skellig Michael erinnern). Erste Versuche meiner Sitznachbarin aus Cali, die Wale mit wieder herausgewuergten Essensresten anzulocken, schlugen fehl. Doch auf einmal war am Horizont ein Blas zu sehen und unser Boot schoss dahin. Jetzt lernte ich, dass, wenn man nur schnell genug faehrt, man auch mit dem Gewicht von 30 Personen von Wellenkamm zu Wellenkamm springen kann. Weitere Personen versuchten sich in der Anlocktaktik meiner Banknachbarin. Und sie hatten Erfolg! Wieder war der Blas zu sehen. Und auch der Ruecken von einem Buckelwal. Und da noch zwei. Sogar Brustflossen, als sie sich drehten. Toll, toll, toll. Nur fotographieren ging bei dem Wellengang und Spritzwasser nicht. Einmal ist einer sogar 30m neben uns aufgetaucht. Der Ruecken war so lang wie unser Boot. Nur gesprungen ist leider keiner. Schoene sanfte Riesen. (Exkurs: Buckelwale leben normalerweise in den Polargebieten und fressen Krill. In die tropischen Flachwassergebiete kommen sie nur, um sich zu paaren und Junge zu gebaeren. Und die Flussmuendung vor Juanchaco ist eben so ein Gebiet.) Nach anderthalb Stunden Achterbahnfahrt auf Kopfsteinpflaster fing auch bei Ellen und mir das Fruehstuck langsam an, sich wieder zu melden. Doch gluecklicherweise befand unser Fahrer/Kapitaen die Fischfuetterungsaktion als erfolgreich abgeschlossen und trat den Heimweg an. Als ich bei konzentriertem Ein- und Ausatmen doch gluecklicherweise noch einmal die Augen oeffnete, tauchte 100m links vor uns ein kleiner Buckelwal sogar ab und ich konnte seine Fluke sehen.

Auf das Mittagessen verzichteten wir dann dankend und machten uns stattdessen zu Fuss auf ins Nachbardorf Ladrilleros. Auf dem Weg ueberholten uns mehrere Trecker mit selbstgebastelten Touristenanhaengern und aus Rost zusammengeschweisste Autos. Nummernschilder u.ae. gibt es hier nicht. Die 10 Minuten nach Ladrilleros ist ja die einzige Strasse im Umkreis von 30km. Ladrilleros sah genauso aus wie Juanchaco, nur ohne Charme. Dafuer hatte es einen Strand. Natuerlich passend in schwarz. Und ich bewunderte wieder die naive Freude der Kolumbianer, die an so einfachen Dingen Spass haben koennen, wie einst bei dem Meerschweinchenrennen in Bogotá. Hier bauten Vater und Sohn (beide im Erwachsenenalter) Sandburgen zusammen, ein Mittvierziger bekleckerte seine dicke Freundin liebevoll mit Schlamm und der eingegrabenen Grossmutter reichte der Enkel den Strohhalm zur Kokosmilch. Inzwischen hatte der Hunger die Erinnerung an die Wellen verdraengt und wir genehmigten uns Krabben und Austern (Ellen) und Rindergeschnetzeltes (ich); natuerlich mit Reis und Patacón. Nach Sonnenaufgang ging es zurueck in unser "Stammlokal" in Juanchaco, wo wir lesenderweis bei einem Bier den afrikanischen Rhythmen der feiernden Frauen auf der Strasse lauschten.

Montag ging es dann mit der ersten Lancha (= Schaluppe auf Spanisch) um 8 Uhr zurueck nach Buenaventura und von dort mit einem Collectivo in das nahegelegene Dorf Córdoba (bitte nicht verwechseln mit dem Córdoba in meinem Department, dem Córdoba in anderen Departments, dem Department Còrdoba oder dem geschichtlich unwesentlich wichtigerem Kalifat in Spanien). Von hier aus geht es erstmal nicht weiter. Zumindest nicht per Strasse, Wasser oder Luft. Was bleibt da noch? Genau, die Schiene. Frueher, viel frueher, gab es hier mal einen Zug. Den Bahnhof und die Schienen gibt es noch. Nur keine Zuege. Aber der durchschnittliche Kolumbianer ist ja erfindungsreich, zumindest wenn er durch die Abgeschiedenheit seiner Wohnstatt im Dschungel, wie unserem Ziel San Cipriano, dazu gezwungen ist. Und so baut man an seine Vespa eine Holzkonstruktion, mit Kugellagern drunter, die als Raeder dienen, baut eine hoelzerne Sitzbank drauf und stellt das ganze so auf die Gleise, das der Mopedhinterreifen auf der Schiene steht. Dann stelle man ein Verkaufshaeuschen mit Tickets neben die Schiene und fertig ist die kolumbianische Ich-AG. Und ich sag euch, es entsteht ein aehnlich freies Gefuehl wie beim Fliegen, wenn man so ohne irgendwelchen Halt auf Schienen durch den Dschungel fegt. Ab und zu tauchen Menschen und Haeuser am Damm auf, aber im grossen und ganzen pfluegt man durch wuchernden Sekundaerwald. San Cipriano selbst ist, bis auf den Dschungel, unspektakulaer. Einheimische kommen hierher, um im kuehlen Fluss zu baden und Ellen und ich wanderten einen Bach hinauf in den Wald. Nach einer Stunde waren wir durchgeschwitzt, mit Lehm/Schlamm bedeckt und Ellens Schuhe kaputt. Also retour und bei einem grossen Guanábanasaft abkuehlen. Dann gabs wieder Fisch und die Rueckreise mit Schienenmoped, Collectivo, Minivan, Bus und Taxi brachte uns wieder zurueck nach Hause. Und mein Spanisch reichte inzwischen sogar schon aus, um meinem Gastvater stotternd das verbrachte Wochenende naeher zu bringen.

Die Woche verlief ansonsten unspektakulaer. Wenig Arbeit. Nur wenn meiner Betreuerin nichts mehr einfaellt, darf ich ran: Virenverseuchte Computer, Softwareinstallation fuer Mikroskope und Schlauchwechseln an der Vakuumpumpe. Ansonsten haeng ich viel im Internet rum, falls es grad funktioniert. Heute gab es schliesslich ein paar erwaehnungswuerdige Ereignisse. Erstens gab es nach 4 Wochen endlich die Erlaubnis, dass wir Praktis (natuerlich nach Voranmeldung) auch den unieigenen Pool benutzen duerfen. Dreimal duerft ihr raten, wo ihr mich morgen in der viel zu langen Mittagspause finden werdet. Und dann seilte ich mich heute kurz nach 4 Uhr wegen Arbeitslosigkeit ab, um das lokale Goldmuseum (eigentlich das einzige Museum der Stadt), das Museo de Quimbaya zu besuchen. Meine Professorin gab mir noch Gruesse an die Museumsleiterin (eine alte Freundin von ihr) mit auf dem Weg und als ich draussen auf der Strasse stand, brach der Monsun (falls es hier sowas gibt) los. Bevor ich das naechste Taxi angehalten hatte, war ich bis auf die Knochen durch. Waehrend der Fahrt liess der Regen dann nach und kippte dann erst wieder seine Fluten vom Himmel, als ich das Taxi vor dem Museum verlassen musste. Die Museumschefin lernte ich dadurch kennen, weil sie es war, die mir freundlicherweise ein Handtuch reichte, als ich geduscht zur Tuer hereintrat. Das Museum kostet nichts, ist klein, aber sehr gut aufbereitet. Die vielen Informationen gibt es sogar auf englisch, aber spanisch lesen klappt inzwischen schon recht gut. Nur stimmten die Oeffnungszeiten im Netz nicht mehr und schon nach kurzer Zeit durchweichte mich der Regen das dritte Mal beim Warten auf den Bus zurueck in die Innenstadt. Ich weiss, warum ich mein Facebookprofil Rob McKenna genannt habe. Inzwischen ist es wieder trocken in Armenia und ich habe eine Erfolgsmeldung zu verzeichnen. Ich habe einen Platz gefunden (nach Angaben des Ladenbesitzers auch der einzige der Stadt. Ich glaube, es ist der einzige des Departments Quindío), wo man Postkarten kaeuflich erwerben kann. Der Kunsthandwerksladen war doch sage und schreibe im Besitz von 20 Postkarten. Jetzt hat er nur noch 14. Ich darf ja nicht gierig sein. Andere wollen ja auch noch welche. So, und jetzt muss ich nur noch entscheiden, ob ich sie hier schreibe, oder mitnehme. Das Briefmarkenproblem ist ja noch nicht vollstaendig geloest.

Aber das wird meine Sorge an einem anderen Tag sein. Ich wuesche euch jedenfalls noch eine entspannte Nacht und faszinierende Traeume. Macht es gut und: Carpe diem,

Stefan


::::::::::::::::: Die Photos wurden freundlicherweise von Ellen zur Verfuegung gestellt:::::::::::::::::

2 Comments:

  • Hi
    ich verfolge gern Deine Blogs. Wirklich sehr spannend, wo Du überall rumkommst und wie die Leute dort leben.
    Manchmal kann ich's mir aber geografisch schlecht vorstellen. Hast Du schon mal QuikMaps (http://quikmaps.com/) probiert? Damit kann man leicht Karten erstellen und auch Linien einzeichnen und dann in den Blog einbinden. Kannste ja mal probieren.
    LG aus Berlin

    By Anonymous Riks, at 20:56  

  • Ausgezeichnet geschrieben. Bin zwar im Land, kenne den Pazifik (noch) nicht.
    Liebe Grüsse aus Medellin
    Carlos

    schau mal hier vorbei:
    http://www.kolumbienforum.net

    By Anonymous Anonym, at 03:13  

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