Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, August 05, 2009

Kolumbien - Salento


Abend liebe Freunde,

ich weiss zwar nicht, ob ihr ueberhaupt noch diese langen Emails lest, aber ich schreib trotzdem mal. Ist ja auch mein Reisetagebuch.

Im September holt mich ja der Jimmy ab. Und da der ein Bergbewohner ist, muss ich schleunigst in die Puschen kommen und etwas Bergwanderfitness auf die Rippen bekommen. Da kam nach Bergwandern fuer Saeuglinge (Erklimmen des Cerro Montserrat mit der Seilbahn und Spaziergang auf eben diesem), Bergwandern fuer Krabbelgruppenteilnehmer (15km Wanderung zwischen 1400 -1800 mit sanftem Aufstieg) nun Bergwandern fuer ABC-Schuetzen: Salento. Salento ist ein groesseres Dorf von etwa 2000 Einwohnern und an Sonntagen ebenso vielen Touristen. Ich habe hier in Armenia fast nie einen Auslaender gesehen. Jetzt weiss ich, wo sie sich versteckt haben. Neben den Auslaendern waren aber auch viele Kolumbianer da, z.B. meine Kollegin Ana mit Mann, 4-jaehriger Tochter Marianna und Hund Dori; sowie José, meinem anderen Arbeitskollegen. Nach einem kurzen Spaziergang durch die bei geschlossenen Laeden doch sehr schicke "Koenigliche Strasse", bestiegen wir den oertlichen Kalvarienberg. Jesus stuerzte wie erwartet 3x und wurde am Ende doch gekreuzigt. Oben eroeffnete sich uns ein beeindruckender Blick ueber unser heutiges Tagesziel: Valle de Cocora. In diesem Tal entspringt der Rio Quindío und von den hohen verschneiten Vulkanen (5100m) des Parque nacional de los nevados (Bergwandern fuer Spaetpubertierende bis mittlere Reinhold Messners, je nach Weg) oeffnet sich langsam das Tal und der Regenwald macht sanften Weiden Platz. Im unteren Teil hat die Landschaft durchaus etwas von der Schweiz. Bis auf die Bananen. Beim Blick auf die Entfernung entschied Ana (Bergwanderniveau: Embryo) spontan, wir nehmen Willyz nach Cocora. Auf dem naechsten Willy trafen wir noch einen weltreisenden Portugiesen aus Porto, mit dem ich glatt ein Gespraech ueber Fado anzettelte. Willyz, das sind diese 2.Weltkrieg-Jeeps der Amis, mit Charme und Spucke erhalten, und das typische Verkehrsmittel hier. Unser Willy hatte 6 Sitzplaetze (2 drinnen und 4 auf der Ladeflaeche) auf denen Hund, Kind und Kegel platznahmen. Meinereiner als passionierter Autosurfer stand natuerlich auf der Heckklappe mit dem Portugiesen und José. Als dann an der naechsten Ecke noch Spanier zum Gesamtwert von 15 Passagieren zustiegen, musste ich es mir hockenderweis auf dem seitlich angebrachten Reserverad bequem machen. Nach 20 Minuten waren allerdings meine Knoechel durch und meine Hose eingerissen, so dass ich zwischen 2 Schlagloechern aufs Dach kletterte. Hier holperte es zwar mehr, aber die Aussicht war besser. Und die war echt berauschend. Ueber den sanften, von Kuehen beweideten Wiesen und einem etwas hoeher gelegenen Regenwald, trohnten Wachspalmen (Palmas de cera). Bestimmt 35-50m hoch. Aus dehnen stellten die Eingeborenen frueher Wachse und Klebstoff her. Nach 45min kamen wir in Cocora an. Hier gibt es Pferde, Militaer, Forellenfarmen (jaja, ich komm darauf zurueck) und ein bis zwei Souvenirshops.

José hatte schon viel Zeit in den Bergen hier verbracht (Bergwanderlevel irgendwas zwischen Heinrich Harrer und Edmund Hillary) und fuehrte uns zielsicher durch die Weiden, hinein in den Andenhochwald. Das tolle ist: Es gibt hier keine Blutegel, Zecken, ja nicht einmal viele Muecken. Einfach zu kalt. Wir sind ja immerhin auf 2390m gestartet. Und so folgten wir dem Bergpfad. Immer wieder mussten wir auf Bambusstaemmen ueber den Fluss balancieren (oder den Hund durch den Fluss jagen), ueber Staemme klettern und aufpassen, im Schlamm nicht auszurutschen. Es versteht sich wohl von selbst, dass niemand von uns Wanderschuhe, geschweige den etwas zu essen dabei hatte. Und so war es der uns begleitende Portugiese, der vor einer "Bruecke" scheute und umkehrte. Wenige Minuten spaeter vernahm auch unsere kleine Familie den Ruf der Zivilisation, so dass nur noch José und ich den Weg fortsetzten. Spaeter erfuhr ich, wir waren zu dem Zeitpunkt erst 2km gelaufen. Es fuehlte sich aber an wie 8km. Einige Bambusstaemme spaeter konnten wir ein schwankendes "Bayern Muenchen"-T-Shirt durch die Baeume auf uns zukommen sehen. 3 Reiter, die ihre Pferde hier durch den Wald jagten: "Buenas! Buenas! Buenas! Hola!" Hola? Das war doch Marianna, die Tochter von Ana? Und tatsaechlich, die Reiter setzten die Kleine bei uns ab und wir warteten auf Ana, Mann und Hund, die alsbald hinterm Baum hervorgekeucht kamen. Sie hatten ihre Meinung wohl geaendert. Nachdem wir die Grenze zum Nationalpark ueberquert hatten, stand unser Ziel fest: Finca La Montaña und dort Mittagessen. Also noch weitere 3km bergauf. Doch bei geschaetzten 2600m (gefuehlten 8000m) verliessen sie ihn. Die anderen kletterten fleissig weiter und Stefan starb den Heldentot. Nun *schnauf* wartet *keuch* dochma *chhhhhhhhh*. Der Hammer! Dass ich nicht unfit bin, sondern dass die Hoehe einem horizontverwoehnten Flachlandbewohner ganz schoen zu schaffen macht, glaubten sie mir erst, als ich gefuehlte 10 Reinkarnationen spaeter auf der Alm ankam und nach 2 Minuten wieder fit wie ein Turnschuh war. Ausser uns sass hier auch ein Ranger, der uns Aufnahmen von Pumas, Tapiren und Ozelots von automatischen Kameras hier im Wald zeigte. Man, was wuerde ich dafuer geben, eines dieser Tiere mal in freier Wildbahn zu begegnen. Aber auch der Ausblick war beeindruckend, rueber zum monumentalen Morro Gacho auf der anderen Seite oder hinunter ins Tal. Das heisse Agua de Pañela (Wasser mit Rohrzucker) mit Kaese, welches jeder Wanderer hier bekommt, schmeckte auf kuehlen 2860m gleich doppelt so gut.

Nachdem wir unsere Wasserflaschen wieder aufgefuellt hatten, begannen wir unseren Abstieg. Naja, Abstieg ist zufiel gesagt. Eigentlich war es ein sanft abfallender, breiter Weg, der uns gemuetlich wieder hinunter fuehrte. Auf dem Weg nach unten konnte man landschaftlich schoen die Hoehenzonen beobachten: Kiefern, dann Bambus (Guadua), dann Regenwald (mit Epiphyten), dann picknickende Israelis, dann Wachspalmen und Weiden mit Kuehen. Wir erreichten entspannt, aber schon fast auf unseren haengenden Maegen laufend wieder das Dorf Cocora. Zielsicher steuerten wir in das linke der beiden Restaurants. Auf der Speisekarte stand nur ein Hauptgericht: Neben der einzigartigen Landschaft der zweite Grund fuer unsere Reise hier in die Berge: In Cocora werden naemlich Forellen gezuechtet. Und nichts anderes. Wer hier keine Forellen mag, bekommt hier nichts zu essen: Forelle gegrillt, gebraten, fritiert, geduenstet, mit oder ohne Champignons. Lecker! Ricissimo! 2 Freunde von Ana tauchten noch auf und halfen uns beim Vertilgen der Fische. Sie nahmen uns auch noch mit zurueck nach Salento, wobei Dori, der Hund, friedlich auf mir und meiner Schulter einschlief, und mich herrlich vollsabberte.

Eine Freundin von José arbeitet in einem Klamottengeschaeft/Bar und lud uns noch auf ein paar Bierchen ein, um den Abend ausklingen zu lassen. Ana wuerde noch die naechsten 3 Tage von dem Muskelkater klagen, José vom Sonnenbrand. Mir ging es gut. Und mit Bier noch besser. Abends dann fuhren die anderen dann mit dem Auto zurueck nach Armenia, waehrend fuer José und mich der Bus blieb. Nur leider warteten etwa 30 Personen schon auf den letzten Bus um 21Uhr. Das ist zuviel. Zum Glueck liess sich ein Willy finden, der uns fuer das gleiche Geld nach Armenia fuer. Diesmal sitzend. Und bis vor die Haustuer. Ich war sogar noch fit genug, um meinem Gastvater in frisch eingeuebtem pretérito indefinido zu beschreiben, was ich heute gemacht hatte.

So, und jetzt muss ich los und mich mit den neuen Austauschstudenten in einer Bar treffen. Ich hab das ja schliesslich angezettelt. Es ist sogar eine Deutsche aus Jena mit dabei, die ich heute kurz im Vorbeigehen traf. Tolle Augen.......

Bis bald und carpe diem,
Stefan

:::::::Die Photos wurden freundlicherweise von José zur Verfuegung gestellt:::::::