Morz und wie er die Welt sah...

Sonntag, August 02, 2009

Kolumbien - La bandeja paisa


Hallo liebe Freunde des kolumbianischen Kaffees,

es ist Samstag. Ich habe ausgeschlafen, Zeit, durch die Stadt zu schlendern und auf diesem Weg gerade meinen kolumbianischen Lieblingsberuf der Woche gesehen: Ampelwerbungsfachangestellte. Menschen, die am Strassenrand sitzen und Schilder fuer Missy's Naehstube oder O'Monaghan's Saufstube in der Hand halten, hab ich ja schon in Irland kennen gelernt. Es ist ein trauriger, schlecht bezahlter und bewegungsarmer Job. In Kolumbien ist das anders: Manche Staedte besitzen den Luxus von 2-3 Ampeln. Und wenn einer dieser Ampel fuer die Autofahrer auf Rot stehen, bewegen sich 2 huebsche Damen mit einer Werbebanderole von einigen Metern Laenge und Werbung fuer Rodrigues' Broilerbude auf den Zebrastreifen und halten sie den wartenden Auto- und Busfahrern vor die Nase. Ich finde, bei den vielen Ampeln Potsdams koennte man mit einer Art Werbungs-Arbeitsbeschaffungsmassnahme so auch in Deutschland die Arbeitslosigkeit effektiv bekaempfen. Oder am besten die Werbung gleich blinkend in die Strasse einarbeiten. Dann muss man gar nicht mehr auf den Verkehr achten....

Was ist eigentlich letzte Woche passiert?

Mmh, beruflich zum Glueck weniger als die Woche davor. Ich helf meinen beiden Masterstudenten Ana und José und hab ansonsten wenig zu tun. Das wird sich aendern, wenn meine Betreuerin aus den USA zurueck ist. Achja,

Die Wanderung

Letzten Sonntag hatten die Mediziner fuer ihre Fakultaet und uns auslaendische Studenten ein kurze Wanderung durch die Doerfer rund um Armenia geplant. Zumindest sagte das die Email. Ich wartete also am Sonntag um 7.00 frueh(!) am vereinbarten Treffpunkt. Nach kurzer Zeit erschien ein kolumbianischer Medizinstudent, der sich entschuldigte und sagte, er kaeme grade von einer Party und wuerde heute doch nicht mitkommen. Kurz danach hoerte ich dasselbe von einer Daenin, die sich aber, kurz vor ihrem Rueckflug stehend, kurzerhand entschloss, doch mitzuwandern. Ansonsten blieben die Scharen erwartungsgemaess aus. Wir beide setzen uns also in den Bus nach Calarcá, an der Landengrenze des Bundeslandes Quindío gelegen, also 20min entfernt (Quindío ist in alle Richtung so gross) und trafen dort auf eine kaffeetrinkende und mit Wanderstoecken, Wanderschuhen, Karten, Sonnenschutz und Verpflegung gut ausgeruesteten Wandertruppe. Die Email sprach von einem Spaziergang. Na gut, ich hatte etwas angeberisch zwar auch meine Wanderschuhe an, aber Sarah (die Daenin) war in Flipflops. Wir besorgten uns Wasser und bezahlten brav unsere 4.500 Pesos beim Bergfuehrer. Dann sprangen wir alle auf Willys (ja, das sind diese amerikanischen Jeeps, die man sonst in Vietnamfilmen sieht. 60 Jahre alt und nicht tot zu kriegen. Das traditionelle Fortbewegungsmittel hier in den Bergen); es standen nie mehr als 8 Leuten auf der 2qm-grossen Ladeflaeche (die anderen standen auf der Ladeklappe); und waehrend wir bergauf zu dem Doerfchen La Rochela tuckelten, erklaerte mir der Bergfuehrer die Landschaft und angebauten Pflanzen. Ueberhaupt nahm er mich sehr unter seine Fittiche. Einerseits machte es ihm Spass, mir spanisch und sein Land naeher zu bringen, darueberhinaus hatte er viel Zeit im Ausland verbracht und auch in Deutschland studiert. Ausserdem stellte ich ihm viele Fragen, soweit mein unterirdisches Spanisch das zuliess.

Auch wenn unser Weg vorwiegend durch Kaffee-, Bananen- und Lulofelder fuehrte, haute mich die Durchmischung unterschiedlicher Pflanzenarten und die hohe Biodiversitaet fast um. Allein auf der Farm, wo wir unser Picknick assen, fand ich an angebauten Pflanzen Plátanos der Sorten Domenico und Artón, Bananos, Lulo, Rohrzucker, Guayaba, Guanabana, Maniok, Orangen, Zitronen, Avocados, Helikonien, Kaffee und Weihnachtssterne auf weniger als 20 qm. Und erst die Voegel: Da gab es wunderschoene leichtrote Voegel, wunderschoene feuerwehrrote Voegel, wunderschoene himmelblaue Voegel, wunderschoene zitronengelbe Voegel und wunderschoene schwarze Voegel und ich kannte nicht einen. Es gibt ja allein in Quindío mehr Vogelarten als in Deutschland. Selbst die ueberall kreisenden Rabengeier fand ich spannend. Und dann erst die Schmetterlinge: Wunderschoene bunte Schmetterlinge und wunderschoen anders bunte Schmetterlinge und .... ich glaub inzwischen, selbst Maenner koennen mehr als 16 Farben sehen.

Da ich ja keinen kannte, kam ich mit allen sehr schnell ins Gespraech. Ein Anwalt gab mir seine Karte fuer die Organisation weiterer Wanderungen und Diana, eine Systemadministratorin meiner Uni half mir gelegentlich mit Vokabeln, da sie englisch sprach. Die ganze Wanderung fand zwischen 1400 und 1800 Metern Hoehe statt (also quasi im Tiefland) und nach dem Abstieg in einem Flussbett zurueck nach Calarcá war ich total durchgeschwitzt und durch meinen zunehmenden Sonnenbrand etwas pflaumig drauf. Ich fand aber bald den Bus zurueck nach Armenia und zu Hause angekommen eine Dusche. Nachher lag ich auf dem Bett, fertig, aber gluecklich und verpennte den Nachmittag.

Die Party

Montag kam eine Email rum, dass die Mediziner Dienstagabend eine Cocktailparty veranstalteten, zu der ich eingeladen war. Auf Nachfrage erfuhr ich auch den Ort der Party: der Pool der Uni (ja, diese Uni besitzt ein Freibad!!!). Wieder fragte ich per Email bei den Medizinern nach, ob ich ne Badehose mitbringen soll. Die Antwort bekam ich von meiner International-Office-Chefin: "Noe, dafuer bitte einen Anzug!" Bitte? Ich reise mit Rucksack! Naja, ich suchte das beste Hemd und eine neue Hose raus und machte mich auf den Weg. Die Veranstaltung entpuppte sich als formale Begruessung der auslaendischen Studenten mit viel Schulterklopfen, Fernsehinterviews, Fotos, einer laaaaaaaaaangen spanischen Rede des Rektor, saemtlicher Vizerektoren und, zum Glueck, kolumbianischem Wein. Wen ich in der Uni noch nicht kennengelernt hatte, stellte sich mir heute Abend vor, u.a. die Dekanin der medizinischen Fakultaet, eine Frau Schroeder, die mir Hilfe in der deutsch-kolumbianischen Voelkerverstaendigung anbot. Als der Wein zur Neige und die Meute aus Offiziellen nach Hause ging, bewegten wir Studenten uns in Richtung Stadt, um ein paar Arepas (was das ist, erklaer ich weiter unten) auf den Wein zu werfen. Fuer eine anstehende Kneipentour und gleichzeitige Verabschiedung einer russischen Studentin standen dann nur noch einer der Mediziner, besagte Russin, meine total schick aufgemotzte International-Office-Chefin und ich zur Verfuegung. So bekam ich endlich mal die Gelegenheit, kolumbianische Biersorten zu testen. Die Maedels hielten sich an Cocktails mit vielversprechenden Namen wie "polvo de medianoche", "ya me acuerdo" und "no me acuerdo" fest. Kurz vor der Sperrstunde brachte mich dann das Taxi nach Hause.

Am naechsten Tag war ein offizielles Bild von uns auslaendischen Studenten in der ueberregionalen Zeitung und morgends fing mich der Kameramann der Uni ab, damit ich die Ab- und Ansage fuer das wochentlich gesendete Unimagazin mache. Ja, der Stefan ist nach seinem dritten Interview innerhalb einer Woche hier zum lokalen Medienstar geworden ....

Die Kueche

Da sich letzte Woche darueberhinaus keine Highlights angesammelt haben, moechte ich euch gerne die regionale Kueche etwas naeher bringen. Das, was die Kueche der paisas, der Westkolumbianer von Medellín bis Armenia, bestimmt, sind ihre Arepas. Arepas sind aus Maismehl geformte Fladen, die auf dem Grill oder in der Pfanne gebraten werden und als Fruehstueck mit Kaese, beim Mittag ohne alles zum Hauptgericht und als Abendbrot mit Kaese, Fleischspiessen oder Churizo gegessen werden. Von morgends ab 6 bis abends um 20 Uhr findet man entlang der Strassen alle 50m einen schiebbaren Grill, auf dem gerade Arepas braten. Ehrlich gesagt, schmecken die ohne alle nach nichts, also scheisse, aber mit angebratenem Kaese aus Pasto oder mit Butter und Honig sind sie lecker. Allgemein ist die Paisa-Kueche sehr staerkereich. Ein normales Mittagessen beginnt mit einer Suppe, oft Bohnen, dann gibt es als Hauptgericht Reis mit anderen Bohnen, gebratenem Fleisch und einer Scheibe gebratener Kochbanane (Plátano). Dazu Arepa. Der Staerkewahn der Paisas gipfelt im lokalen Nationalgericht "Bandeja paisa". Diese besteht aus einer waessrigen Suppe, in der ein Maiskolben, Yuca (Maniok) und Papas (Kartoffeln) schwimmen, kombiniert mit einem Teller voll mit Reis, Avocado, etwas Fleisch (z.B. Huhn), Plátanos, Bohnen, Karoffeln, Maniok, begleitet von Arepas. Ueberhaupt ist ein Gericht ohne Reis und Tarjadas (Scheiben gebratener Kochbananen) nicht denkbar, meistens begleitet von Bohnen und Arepas. Fuer mein Mittag habe ich inzwischen ein schoen gelegenes Restaurant entdeckt, welches auch Gemuese kennt. Hier habe ich auch schon leckeren Blumenkohl, Erbsen, Linsen und sogar rote Beete auf dem Teller gehabt. Insgesamt ist aber alles hier durchaus essbar.

Zu trinken gibt es neben Wasser und agua de canela (mit Rohrzucker gesuesstem Wasser) vorwiegend Saefte. Smoothies, wie eine Mutter jetzt neudeutsch sagen wuerde. Dieses Land besitzt so unglaublich viele Fruechte: Papayas, Mangos, Guayabas, Guanabanas, Lulos, Tomates de Arból, Moras und Maracuyás hab ich inzwischen schon probiert. Und die restlichen werd ich auch noch probieren. Nicht alle verursachen Montezumas Rache. Lecker,kann ich euch sagen. Ricissimo.

Durch die Suessigkeiten bin ich noch nicht komplett durch, aber bocadillos sind hier keine Sandwiches wie in Spanien, sondern gesuesste, gepresste Guaven (Guayabas). Das Junkfood orientiert sich vorwiegend weiter noerdlich. Auf der Strasse sind (neben Arepas) Hamburgesas, Perros caliente (Hot dogs) und Pizza der Renner.

Als Ausgleich hab ich heute meiner Gastfamilie etwas europaeisches gekocht: Gefuellte Paprika. Mein Gastvater hat sich alle 10 Finger danach abgeleckt. Er stammt von der karibischen Kueste und findet es ganz traurig, dass im Land der Paisas weder Tomaten noch Oregano Anwendung finden. Naechste Woche gibt es, dann fuer meine Kollegen, entweder Kartoffelpuffer (wenn ich Aepfel oder Apfelmus finde) oder Koenigsberger Klopse und Tomatensalat.

So, jetzt hab ich aber Hunger und werd mir mal ne Arepa con queso reinpfeifen. Allen, die noch wach sind, wuesche ich noch ne gute Nacht und bis bald. Carpe diem,

Stefan


P.S.: Wenn euch ein Thema ueber Kolumbien interessiert (Wetter, kolumbianische Frauen, Grabrichtung der suedkolumbianischen Feldameise bei Sonnenaufgang), schreibt mir bitte. Ich pack es dann mit ins Blog.

2 Comments:

  • Heißt das echt "Perros caliente"??
    Kriege ich gleich Appetit auf "heißen Hund", besonders hier in friedrichshain sollten sie mal diese Delikatesse realisieren, Nachschub kein Mangel!
    LOL:-)

    By Anonymous Riks, at 21:16  

  • Achja, nochwas: Interessiere mich für die Themenbereich "kolumbianische Frauen in sozialer Interaktion mit Morz" sowie "Grabrichtung der suedkolumbianischen Feldameise bei Sonnenaufgang".

    By Anonymous Riks, at 21:18  

Kommentar veröffentlichen

<< Home