Morz und wie er die Welt sah...

Mittwoch, November 04, 2009

Peru - Cañon de Colca oder Im Land der Toten...

Hallo liebe Freunde,

nach einer langen Fahrt mit wenig Schlaf, danach einer schoenen warmen Dusche und in Erwartyung eines leckeren Fruehstuecks/Mittags, bin ich vor ein paar Stunden wieder ins Hotel España in Lima eingecheckt. Hier habe ich jetzt zwei Tage Zeit, mir in Ruhe ein paar Sehenswuerdigkeiten von Perus Hauptstadt anzuschauen, bis ich mit Jimmy zur letzten Etappe unserer Reise aufbreche: dem Amazonas. Ich bin schon voller Vorfreude.

Die letzten zwei Tage habe ich im Cañon de Colca zugebracht; dem zweittiefsten der Welt. Der allerallertiefste liegt auch gleich nebenan (mit ca. 3200m von der Spitze der angrenzenden Berge bis zum Fluss unten im Tal), nur ist er schlechter zu erreichen. Und ausserdem fahren da keine Touritouren hin. Doch genau diese mussten wir nehmen, da alle oeffentlichen Busse fuer Tage ausgebucht waren. Wir mussten ja auch an Allerheiligen und Allerseelen reisen.

Der Minibus holte uns also um 8Uhr ab, dann machten wir eine Rundtour durch Arequipa, bis wir alle 13 Touris eingesammelt hatten und fuhren dabei 4x ueber die Plaza de Armas, unserer Einstiegsstelle. Von Arequipa aus ging dir Fahrt nach Norden, um den eindrucksvollen Chanchani (6075m) herum, hinauf auf den kurz hinter Arequipa beginnenden Altiplano. Vor und hinter uns fuhren identische Minibusse mit aehnlich gelangweilt wirkenden Auslaendern drin. Der erste Stopp, an dem wir dann alle trafen, waren die Ebenen der Vikuñas. Vikuñas ist die kleinste der vier Neuweltlamaarten und nicht domestiziert. Es gibt nicht mehr viele von ihnen, aber einige hundert leben in kleinen Herden von bis zu 20 Tieren an den Nordhaengen der Vulkane in der Naehe von Arequipa in Hoehen zwischen 3000m - 5000m. Ihr Bauch ist weiss, ihr Rueckenfell hellbraun und ihre Wolle war frueher nur der Herrscherfamilie der Inka vorbehalten. Ich erfreute mich lieber an ihrem Anblick, gemuetlich am Steppengras Ichi zupfend, als Pullover aus ihrer Wolle zu kaufen. Haette ich eh nicht bezahlen koennen. Und wie sie so schoen gelangweilt zu uns rueberschauten, dachten sie wohl, wir waeren die Tiere, die es zu bestaunen gilt. Und irgendwie haben sie wohl recht. In Peru fuehlte ich mich oft als das exotische Tier, was Geld auf seinem Weg fallen laesst. Wird Zeit, dass ich wieder in untouristischere Gebiete reise. Papua-Neuguinea vielleicht.

Gut, wir kletterten wieder in unsere Minibusse und fuhren weiter nach Nordwesten, bis sich alle Minibusse an der naechsten Sehenswuerdigkeit wiedertrafen: in Patapampa. Das ist der hoechste Punkt auf der Reise (und mit 4910m mit Abstand Jimmies bisheriger Hoehenrekord) und von dort sollte man alle 7 umliegenden Vulkane sehen koennen. Haette man vielleicht, wenn es nicht gerade angefangen haette zu schneien. Nur der Ambato (6380m), auf dessen Gipfel das Menschenopfer Juanita gefunden wurde, stach etwas durch die Wolken. Nach einer kurzen Abfahrt hinab ins Tal erreichten wir Chivay, unsere Schlafstaette fuer heute. Doch soweit war es noch nicht. Als erstes wurden wir in ein Restaurant gefahren, in dem es pauschaltouristen-like ein Buffet zu erkunden galt. Da kann man sowas doch schon mal ausnutzen und alles probieren. "Und der Stefan unterdessen, hat sich masslos ueberfressen..." Nach dem Essen gings ins Hostel, wo wir unsere Sachen abstellten und waehrend Jimmy sich auf dem Bett langmachte, unternahm ich mit dem netten Paerchen aus Schaffhausen und Basel, das neben uns im Minibus sass, einen Spaziergaengchen einmal die Strasse hoch und wieder runter.

Um 16Uhr wurden wir dann wieder abgeholt und zu den oertlichen heissen Quellen gefahren. Ich hatte als einziger keine Badehose dabei, also im Schluepper rein ins Wasser. Chivay lag zwar im Tal, aber immer noch auf 3600m, d.h. waehrend man sich schoen im 40 Grad warmen Wasser raekelte und einen Schwatz mit Schwaben hielt, fror man tierisch am Kopf, so dass man alle paar Minuten untertauchen musste. Gegen 17Uhr liess dann der Bademeister im Aussenbecken das Wasser ab - ohne vorher Bescheid zu geben - und wir flitzten frierend ueber die Steintreppen in das einzige Becken, welches ueberdacht war. Eine warme Dusche spaeter holte uns unserer Guide auch schon ab, um ins Hotel zurueckzufahren.

Allerdings wollte ich noch gar nicht zurueck und sprang, als wir am Friedhof vorbeifuhren, aus dem Bus. Heute war naemlich Allerseelen und so sieht das in Peru aus: Vor dem Friedhof verkaufen kleine Kinder und Jugendliche haufenweise Bier an alle, die selbst keines mitgebracht hatten. Zum Beispiel uns. Auf dem Friedhof sind ganze Familien um die Graeber ihrer Angehoerigen versammelt und speisen und feiern mit ihnen. Sie sind ja in ein besseres Leben gegangen, nur an Allerseelen wird diese Grenze zwischen Leben und Tod etwas aufgeweicht und die Toten koennen die Lebenden treffen. Insgesamt sind drei Blaskapellen auf dem Friedhof von der Groesse meines Gartens verteilt und muessen sich beeilen, denn sie muessen ja an jedem Grab mindestens einmal spielen. Dort tanzen zwei alte Herren mit Bier in der Hand auf den Graebern zu der Musik und dort sitzt die gesamte Familie im Halbkreis um ein Grab im Schein vieler Kerzen und isst Brot zusammen. Ueberall stoesst man gerne mit uns auf die Toten an. Schoen, wenn der Tod nicht nur etwas duester-trauriges hat, wie bei uns.

Als wir gerade im Hostel zurueck sind, werden wir abgeholt zum Abendessen. Hunger hat eigentlich keiner, aber wir fahren alle mit. Neben unserem Tisch stehen, wie sollte es auch anders sein, typische inkaische Instrument wie Panfloete, Ukulele, Inkafloete, Gitarre und 2 E-Baesse bereit, um uns traditionelle Taenze vorzufuehren. Die Tomatensuppe ist von Maggi, das Alpaka ist als Rind an Altersschwaeche gestorben und der Nachbartisch, eine andere Gruppe, prostet sich mit "No somos alemanes, somos bávaros" zu. Na prost Mahlzeit. Die Taenze tun ihr Uebriges zu meiner Stimmung. Natuerlich werden immer Menschen aus dem Publikum genoetigt mitzutanzen. Nana, das nette Maedel aus unserem Minibus, stellt sich zu einem Tanz zur Verfuegung, der am Ende mit dem zeremoniellen Auspeitschen auf dem Fussboden endet und als ich mich erbarme, beim letzten Tanz die langwierige Suche der Taenzerin nach einem Tanzpartner zu beenden, gehen die Schwaben und Jimmy einfach raus, eine rauchen. Kameradenschweine!

Der Abend wurde dann mit einer Flasche Wein beendet, die die Schwaben noch dabei hatten. Und die war bitter noetig, denn das Fenster ueber der Tuer in unserem Zimmer war kaputt und die Nacht daher bitterkalt. Aber um 5 Uhr war sie schon vorbei, um 5.30 gabs zwei Broetchen mit Marmelade und Cocatee und um 6 Uhr sassen wir schon wieder im Minibus. Doch dann war die Hetzerei auch schon wieder beendet. Man brachte uns in das Nachbardorf Yanque und holte innerhalb der naechsten Stunde die 3 Touris ab, die in einem Luxushotel untergekommen waren. Auf dem Marktplatz in Yanque waren alle wieder da. 50 Touristen, fast ebenso viele Alpakapulloververkaeuferinnen - manche hatten drapierte Alpaka und zahme Falken, sogar eine Eule, mitgebracht, um diese fuer Geld mit Touris zu fotografieren - und das schlimmste von allem: Kleine, etwa 10-jaehrige Maedchen in traditionellen Kleidern, die langam um den Brunnen herumschreitend, traditionelle Taenze gegen Geld im Klingelbeutel vorfuehrten. Einmal eine volle Ladung Kulturaushoehlung bitte! Ich glaube, in der Schule waeren die armen Kinder besser aufgehoben.
Kurz nach halb Acht ging es dann gluecklicherweise weiter, entlang des sich immer weiter oeffnenden und vertiefenden Canyons. An den Haengen gegenueber sah man schoene alte prae-inka Terrassen fuer den Feldbau und links aus dem Bus heraus die andauernde Aktivitaet der Region durch tiefe Risse und ehemalige Lavafluesse. An einem Aussichtspunkt hielten wir. Dort kreiste ein Adler ueber uns. Aber die unter uns unter dem Kaktus sitzende Chinchilladame mit ihrem saeugenden Jungen schien das nicht zu interessieren. In der Felswand ueber uns waren Loecher eingelassen, aehlich denen in Pisaq. Und wie in Pisaq zeigten sie Graeber an. Bis heute weiss niemand, wie sie dort angelegt wurden und warum, aber die Erklaerung unseres Guides, sie wurden zu ebener Erde angelegt und die Felswand haette sich in den letzten Jahrhunderten 30m gehoben, kann man getrost knicken.

Der wichtigste Stopp und Hoehepunkt des heutigen Tages war der Cruz del Condor. Das ist eine Klippe ueber dem mittlerweile schon sehr tiefen Canyon, an dem Kondore nisten und umherfliegen. Und diese liessen sich auch nicht lange bitten. Zwei Jungvoegel von "nur" 2m Fluegelspannweite segelten keine 5m ueber uns Hunderten Touristen hinweg, majestaetisch die Aufwinde nutzend und nach Ass spaehend. Aber auch neben den Kondoren, was viele Besitzer von Fotoapparaten uebersahen, bot die Landschaft einen atemberaubenden Ausblick. Die Berge uns gegenueber waren am Gipfel schneebedeckt und erstreckten sich bis in das hier 2000m tiefer gelegene Tal der Colca. Auch auf unserer Seite lagen 1200m zwischen unseren grossen Zehen und dem Fluss. Und neben den Kondoren zutschten Kolibris an Kaktusblueten, Goldammern(?) zwitscherten in den Straeuchern und Eidechsen huschten ueber die heissen Felsen. Und ab und zu zog der Schatten eines Kondors die Kontouren eines Hanges nach.

Gegen 10 Uhr verliesen wir wieder diesen Ort und machten vor dem Mittagessen (natuerlich Buffet) noch einmal in Maca halt. Ich weiss nicht mehr, was man hier besichtigen sollte. Ich beobachtete jedenfalls den Beerdigungszug, der sich gerade durch die Strassen bewegte. Auch hier spielten wieder Trompete und Posaune und die Menschen waren einerseits traurig wegen des Abschied, andererseits froehlich, weil der Verstorbene in ein besseres Leben hinuebergeglitten war. Genau so eine Beerdigung hatte sich mein Vater einst gewuenscht, aber das ist in Deutschland undenkbar. Wenn der Sarg zu schwer wurde, setzten ihn die Traeger ab und das in einer abgeschnittenen Colaflasche transportiert Weihwasser wurde zum Vaterunser ueber dem Sarg verspritzt.

Oh, da werde ich heute mal ein Utensil der Woche einfuehren: die abgeschnittene Colaflasche. Waehrend sie in unseren Breiten ja meistens nur zum Hauskonsum halluzinogener Rauschmittel benutzt wird, sind die Einsatzgebiete in Suedamerika fast unbegrenzt. Neben dem Transport von Weihwasser dient die angeschnittene Colaflasche, im folgenden abg. C., vor allem als Windschutz von Kerzen, zum Beispiel bei Friedhofstaenzen, Kerzenstaender oder als Regenschutz von Lichterketten auf Booten auf dem Titicacsee. In der Naehe von Cuenca kann man die abg. C. auch in einer ganz anderen Verwendungsart beobachten: als Maulkorb fuer Kaelber auf dem hiesigen Viehmarkt. Wie ihr seht, sind die Einatzgebiete vielseitig. Und wofuer habt ihr schon mal eine abg. C. verwendet?

Nach dem Buffet machte ich diesmal vollgefressen und Madredeus im Kopfhoerer lauschend ein Nickerchen im Minibus zurueck. In Arequipa angekommen, verabschiedeten wir uns von den Schwaben, Marcus und Nana, schnappten unsere Rucksaecke und machten uns auf zum Busbahnhof. Dort erwischten wir noch einen Cruz-del-Sur-Bus, den mit den Businessclasssitzen, und schauten einer angenervten Stewardess beim Arbeiten zu. Zum Sonnenuntergang ueber der Wueste gab es einen schlechten Film von Roland Emmerich 10.000 B.C. (Ich sag nur, die Pyramiden in Aegypten wurden mit Hilfe von Mammuts gebaut. Na klar!) im Buskino und 2 Stunden spaeter war ich ueber meinem Buch eingepennt.

So, allen die jetzt noch wach sind, wuensche ich noch eine gute Nacht und macht es gut. Carpe diem,

Euer Stefan