Morz und wie er die Welt sah...

Montag, November 02, 2009

Peru - Arequipa

Liebe Freunde,

heute musste der Jimmy mal etwas dringend ins Netz und so hab ich Zeit, euch von den letzten Tagen zu berichten.

Ich bin also in Arequipa. Arequipa ist mit 700.000 Einwohnern die zweitgroesste Stade Perus, ebenso wie Cuzco und Lima UNESCO Weltkulturerbe wegen seiner Innerstadt und gleichzeitig der suedlichste Punkt unserer Reise. Ab jetzt geht es nur noch in grossen Schritten zurueck nach Norden. Bis nach Bogotá. Das sind so 20 Breitengrade. Mmh, also etwa 2500km. Ganz schoene Strecke. Aber erstmal sind wir in Arequipa.

Das tolle an Arequipa ist, dass es wieder "unten", auf 2400m liegt. Der Tag ist also angenehm fruehsommerlich warm und der Abend laesst sich laessig mit einem duennen Pullover bewaeltigen. Ausserdem liegt Arequipa gleich westlich der Westanden und damit direkt unterhalb der wohlgeformten und von hier "unten" ziemlich eindrucksvollen Vulkane Pichu Pichu (5664m), El Misti (5821m) und Chanchani (6075m). Wenn sie wegen des Smogs und Sand in der Luft mal zu sehen waeren...

Nach einigem Rumrennen, vollen oder zu teuren Hostels, haben wir uns in der Mitte der Stadt einquartiert. Unser Hostel, welches witzigerweise Qosqo heisst, liegt direkt an der Plaza de Armas und so starteten wir unseren Stadtrundgang gestern gleich mit der Kathedrale vor der Tuer. Im Gegensatz zu den meisten Kirchen hier in Suedamerika ist die Kathedrale von Arequipa fast schlicht gestaltet. Alle Waende und Saeulen sind entweder weiss und mit reichlich Stuck verziert, oder apricot (Eh Jungs, ich weiss, das ist eine Frucht und keine Farbe, aber ich hab mal im Woerterbuch fuer Maedels nachgeschaut und da benutzt man sowas.). Durch gelbe Fenster in der Decke faellt scheinwerfergleiches Licht auf viele Stellen des Mittelschiffbodens und auf den Altar. Letzterer ist klassizistisch und steht in einer weitraeumigen Apsis, gestaltet mit altem Chorgestuehl und viele Blumengebinden. Und endlich steht auch mal wieder eine grosse Orgel im Raum. Oft werden Gottesdienste ja nur mit Gitarre und furchtbar schiefem Gesang begleitet. Ach, und eine der schoensten holzverzierten Kanzeln steht noch in der Kathedrale.

Nach dem kirchlichen Auftakt schlenderten wir einfach durch die Strassen und machten spaeter bei Colca Trek Halt. Das ist einer die vielen Agenturen hier und wir hofften, sie haetten eine interessante Tour in den Cañon de Colca, den zweittiefsten Cañon der Welt, fuer uns. Aber Fehlanzeige. Die Frau hinterm Tresen telefonierte nur viel und verwies uns auf ihre Kollegin, die bald aus der Mittagspause kommen wuerde. Da koennen wir ja noch IN die Mittagspause gehen, dachten wir, und setzten unseren religioesen Stadtrundgang, an der Touristinfo vorbei, fort. Dieser fuehrte uns in das Santa-Catalina-Kloster. Mit 30 Soles war der Eintritt hier ziemlich gepfeffert, aber nach der Besichtigung fanden wir, es war jede Céntime wert. Aber fangen wir mal von vorn an: Das Kloster wurde schon 1570 gegruendet und beherbergte ca. 200 Nonnen. Dementsprechend hatte es eine Groesse von 2 Blocks, eine hohe Mauer ringsherum und einen mysterioesen Ruf, da niemand wirklich wusste, was drinnen abging. Der Ruf war nicht ganz unberechtigt, wie man erst 300 Jahre spaeter herausfand, denn die Aebtissinnen rekrutierten ihre Nonnen aus den nobelsten Familien Spaniens und diese Damen lebten innerhalb der Mauern oft so weiter, wie sie es frueher von ausserhalb gewohnt waren. Zu Anfang wunderte mich die Geraeumigkeit der Zellen sehr. Oft hatten sie 3-4 Zimmer, Wohnzimmer und immer eine Kueche mit dabei. Doch dann verriet mir eine Fuehrerin, dass jede Nonne meist noch 1-2 Bedienstete hatte. So laesst es sich leben, dachte ich mir. Vor Hundert Jahren dann kam eine strenge Dominikanernonne und raeumte erstmal kraftig in dem Laden auf.

Am Eingang sassen saemtliche Fuehrerinnen in rotbrauner Uniform mit Sommerhut wie die Huehner auf der Stange, tratschten und wetteten, welche Nationalitaet als naechstes eintreten wuerde. Frau Deutsch sprang dann auch freudig auf, als sie uns eintreten sah, in der Hoffnung, gegen die Langweile und fuer das Portemonnaie etwas tun zu koennen und wir mussten sie leider bitter enttaeuschen, da wir uns das Kloster ohne Fuehrung anschauen wollten. Ein Kloster dieser Groesse ist eine Stadt in der Stadt. Es besitzt Strassen, benannt nach spanischen Staedten, Springbrunnen und viele geraeumige, mit Blumen geschmueckte Hoefe, in denen es sich schoen flanieren laesst, wenn man nicht gerade zum Chef sprechen muss. Die Mauern wirken maurisch-arabisch und wurden bei der Restauration und Oeffnung des Klosters 1970 in bunten Farben bemalt. Sehr schoen. Also, falls ich mal, aus irgenwelchen Gruenden, in ein Kloster eintreten sollte, dann bestimmt hier. Echt gemuetlich. Und ich glaub, ich wuerde mich gar nicht schlecht anstellen als Hostiennonne, Finanznonne oder vielleicht Sternwartennonne, falls es so etwas gibt. Oder ich uebersetze die deutschen Inschriften fuer die einzelnen Raeume in richtiges Deutsch. Zum Beispiel stand auf einem "In dieser Zelle faellt zuerst die Kueche mit den schoenen Welpen auf". Niedlich. Da hatte jemand cachorro (Welpe) statt cacharro (Kessel, Topf) bei google eingetippt. Aber ich sollte nicht meckern. Immerhin gab es eine deutsche Uebersetzung.

Um 16 Uhr hatten wir den letzten Raum des Klosters verlassen, die Pinakothek, und machten uns auf, endlich eine Tour fuer morgen zum Colca-Cañon zu buchen. Aber in der einen Agentur mochte die Agenturchefin ihre eigene Tour nicht, in der anderen bestand die Tour nur aus Folklore und Verkaufsshows und bei der dritten ging alles um 3.30 morgens los. Und eine Auto- oder Moppedmietung ging auch nicht. Und so entschlossen wir uns, die Tour selbst mit den Oeffentlichen zu machen.

Das bedeutete, dass wir heute um 6.30 aus den Betten mussten, um den 8.00 Bus ins 150km entfernte Chivay zu nehmen. Gesagt, getan. Um 10 vor acht setzte uns das Taxi am Terminal Terrestre ab und wir spurteten zu den entsprechenden Gesellschaften. Haetten wir uns auch sparen koennen. Heute ist naemlich Allerheiligen und damit waren alle Busse bis morgen Nachmittag ausgebucht. Haetten wir uns auch gestern Abend bei den ganzen verkleideten "Suesses-sonst-gibts-Saures"-Kindergangs auch denken koennen. "Was nun?",sprach Zeus. Nach langem Ueberlegen und trocken Brot mit Wasser zum Fruehstueck, entschieden wir uns, einen weiteren Tag Sightseeing in Arequipa einzulegen und ausserdem die bloede Folkloretour in den Colca-Cañon fuer morgen zu buchen. Sonst wuerden wir da gar nicht mehr hinkommen.

Zurueck in der Innenstadt, wurde der Reisefuehrer konsultiert. Gut, also weiterer Kirchentag, sprich Besichtigen von Kirchen. Heute kam man wenigstens in alle rein, denn meistens war grad Gottesdienst. In der Iglesia de la Compañía erscholl ein froehliches Halleluja wie von einer Hippyband und etwa 20 Frauen standen am Beichstuhl Schlange (War wohl viel los in Arequipa an Halloween...), in der Kirche des Franziskanerkloster schloss man uns fast ein und die Kapelle San Juan Bautista etwas ausserhalb der Innenstadt haben wir erst gar nicht gefunden. Dafuer war auf dem Platz, wo die Kirche sein sollte, ein kleines kulinarisches Volksfest im Gange. Da gab es zum Beispiel Kochweitstreite unterschiedlicher Kochschulen. Die Jury vergab am Ende einen 1000-US-Dollar-Reisegutschein und Waschkoerbe voll Chips, Keksen, Reis und Suessigkeiten (Der Sponsor war ein Supermarkt). Wir krallten uns erstmal an einem Stand fest, der Biosalsas anbot. Die waren zwar lecker, aber eigentlich blieben wir wegen des Alpakageschnetzelten. Alles umsonst und zum Probieren. Wie bei der Gruenen Woche. Und lecker! Dann bot man uns sogar ein ausgewachsenes Glas Wein an. Als ich fragte, was fuer einer das sei, sagte man mir "roter". Danke, das sehe ich selbst. Ich meine, welche Sorte. "Na, aus Weintrauben". Die nett laechelnde Hostess meinte das wirklich so. Sie haette vielleicht eher Eis verkaufen sollen. Aber der Wein war lecker. Suess und stark. Ein Portwein.

Danach entdeckten wir einen Stand von Otto Kunz. Das ist ein Schweizer, der fuer und in Suedamerika europaeische Wurst herstellt und dessen Salamis und Chorizos ich schon oefter in Kolumbien gekauft hatte, falls mich kulinarisch das Heimweh packte. Also gab es Bratwurst mit Senf und das war gut, denn neben Otto Kunz kamen 3-4 Staende, an denen man Pisco, den typischen Branntwein Perus, probieren durfte. Und nach den Piscostaenden noch ein Eisstand und ein Bierstand. Alle wurden von uns heimgesucht. Es gab noch viel mehr, aber an dieser Stelle gaben wir leicht beschwippst auf und trotteten zurueck ueber den Rio Chili in die Innenstadt. Hier buchten wir nun endlich unsere Folklore-Pauschaltouristen-Tour fuer morgen und ich bin gesapannt, wieviel Zeit ich in der Natur und wieviel ich hinter irgendwelchen Hotelbuffets oder Souvenirstaenden verbringen werde.

Davon erzaehl ich euch dann bruehwarm aus Lima in 3-4 Tagen. Bis dahin macht es gut und tut nichts, was ich nicht auch tun wuerde. Carpe diem,

Stefan





P.S.:Ich hab je ganz vergessen, euch von Juanita zu erzaehlen... Die haben wir ja auch noch heute Vormittag besucht. Da seht ihr mal, wie muede ich jetzt schon bin. Juanita, oder die Eisprinzessin, ist eine adlige Inka, die vor 14 Jahren auf demGipfel des nahe gelegenen Ambato (6380m) gefunden wurde. Fuer die Inka waren die Berge Goetter. Und wenn sie erzuernt waren, mussten sich reine, koerperlich perfekte Kinder in einer Prozession von der 300km entfernten Hauptstadt Cuzco auf den Weg machen, um die Goetter zu besaenftigen. Wie sie, ohne heute Ausruestung, nur mit Lamafelllatschen und Cocablaettern gegen die Hoehenkrankheit bewaffnet, es ueberhaupt geschafft haben, diese Berge zu erreichen, ist heute noch unvorstellbar. Juanita war nicht das einzige Kind, welches geopfert wurde. Es waren noch 2 weitere Maedchen und ein Junge mit ihr und den Priestern unterwegs, nur wurden die anderen schon einige hundert Meter unter dem Kraterrand rituell getoetet, durch einen gezielten Schlag auf die Schlaefe, und nur Juanita war es vergoennt, ihr Volk repraesentierend zu den Goettern aufzusteigen. In gewisser Weise ist sie ja auch unsterblich geworden, denn ihr Leib wurde kurz nach dem Auftauen des Kraterrandes (wegen einer erneuten Eruption) 1995 unversehrt gefunden und ist nun, zusammen mit den Grabbegaben in einem Museum hier in Areqipa zu sehen. In einer Gefrierbox.

Neben vielen Dingen zur Religion der Inka hab ich gelernt, dass dieses Volk auch erstaunlicherweise ein Messinstrument fuer den Zyklus von El Niño hatte. Die Verbreitungsgebiete einer speziellen Muschelart. Und damit wussten sie, wann die Naturgoetter ihnen wieder zuernen wuerden und hatten immer ein paar zu opfernde Kinder in petto, um die Goetter zu besaenftigen. Beeindruckendes Volk, diese Inka, immer wieder...