Morz und wie er die Welt sah...

Sonntag, Juli 19, 2009

Kolumbien - Bogotá

Guten Morgen liebe Freunde,

ich bin fit und stolz wie Bolle, denn ich habe soeben mein erstes selbstbestelltes Fruehstueck in einer Baeckerei hier um die Ecke verputzt: Ruehrei mit Tomaten und Zwiebeln, etwas Brot und eine heisse Schokolade. *grins*

Warum schreib ich euch eigentlich schon wieder, obwohl ichs doch erst gestern Abend getan hab? Naja, gestern war ich zugegebenermassen schon totmuede und hab bei der Beschreibung von Bogotá viel weggekuerzt, was ich euch noch erzaehlen wollte. Und deswegen...

Bogotá - liegt in einer viele Quadratkilometer grossen Hochebene auf ca. 2.500m - 2.600m: der Sabana de Bogotá. Wenn man auf dem Hausberg, dem Cerro de Montserrat, steht (so wie ich gestern) und sich die Wolken verzogen haben (so wie bei mir gestern nach 2 Stunden Nieselregen), bedeckt Bogotá die ganze Ebene von da hinten links bei den Bergen bis fast ganz rechts zu den anderen Bergen, die man noch schwach durch die hohen Eukalyptusbaeume erspaehen kann. Koennt ihr es sehen? Ja, das alles ist Bogotá. Und ich kenne nur den Altstadtteil "La Candelaria". Mein Woerterbuch zerstorte heute morgen eine Illusion, als es mir sagte, dass "La Candelaria" nicht Kerzenleuchter heisst, wie ich es mir mit den schoen beleuchteten Gebaeuden abends dachte, sondern "Lichtmess", einer dieser komischen katholischen Feiertage, die keiner kennt. Hier in "La Candelaria" sind die Haeuser meist nur 2-3 Stockwerke hoch, ziemlich alt, oft verfallen, manchmal aber auch liebevoll restauriert und stets sehr charmant. Es gibt kleine Plaetze, auf denen sich des Abends die Grossstadtjugend trifft, Musik spielt, der Musik zuhoert, trinkt oder einfach nur knutscht. Laeden erkennt man hier fast gar nicht. Nur eine halb oder ganz geoeffnete Haustuer ohne Werbung weist daraufhin, dass neben dem Fleischer ein Schriftsetzer, Bilderrahmenbauer oder Gitarrenbauer sitzt. Auch die Menschen sind hier so herrlich nett und zuvorkommend (bis auf den Arsch gestern, der mich beim Abendbrot um mein Wechselgeld bescheissen wollte), wie es mir auf Anhieb zu keiner anderen Hauptstadt einfaellt.

Mittelpunkt der Altstadt ist die Plaza de Bolívar (mich duenkt, die wird mir noch in mehreren Staedten begegnen) und diese steht in Taubendichte und Taubenscheissendichte der Piazza de San Marco in Venedig in nichts nach. An der Plaza liegt die Catedral Primada auf deren Boden die Gruendungskirche von Bogotá stand. Von aussen nicht gross wirkend, erstreckt sie sich innen ueber einen ganzen Haeuserblock und ist herrlich leicht ausgestattet. Direkt neben der Kathedrale liegt "La Puerta Falsa", Bogotás aeltester Ort (seit 370 Jahren durchgaengig in Betrieb), um sich lokale Snacks in den Bauch zu werfen. Die Tamales (Maisteigtaschen) sind frisch und lecker. Nur bei der Dame hinter dem Tresen glaube ich, sie ist von Anfang an dabei. Ein paar Meter weiter fuehrten mich meine Fuesse in die ehemalige Muenzpraegeanstalt, die seit Gruendung schon viele Regierungen und Staaten am Fusse des Cerro de Montserrat gesehen hatte. Hier wird die Geschichte Mittel- und Suedamerikas verstaendlich und gut am Beispiel dieses kleinen, leuchtend gelben Metalls erlaeutert, dass Menschen schon seit Jahrhunderten in Wahnsinn versetzt. Es faengt bei der Ausbeutung der Indios im 15.Jhd. an und endet bei Problemen bei der Papiergeldherstellung. In einem Teil wird der Leiter der Muenzpraegeanstalt fuer sein militaerisches Genie gelobt, als er heldenhaft 1948 mit der Ausbringung von Chlorgas verhinderte, dass Aufstaendische sein Gebaeude stuermen konnten, um so der kolumbianischen Wirtschaft zu schaden.

Vom Hof der Anstalt aus kann man direkt weiter zum Botero-Museum gehen. Botero? Das ist der komische Kauz (aeh, der beruehmteste noch lebende kolumbianische Kuenstler), der selbst Kylie Minogue und Kate Moss dick aussehen lassen kann. Alle seine Figuren haben kleine treudoofe Aeuglein, spitze Muender und mindestens 100kg Uebergewicht. Auch die Pferde oder Spatzen, die er gemalt oder in Bronze gegossen hat. Erst war es etwas befremdlich, aber spaeter hab ich mich herrlich ueber Bilder, wie z.B. seine dicke Mona Lisa amuesiert. Auch nebenan, im Museum der Nationalbank, ist gerade eine Andy-Warhol-Ausstellung, aber da hatte ich die Nase voll von Gemaelden, Fotos und Kunst.

Mich zog es weiter, an der Universitaet der Anden vorbei zum Fuss *keuch* des Cerro de *schnauf* Montserrat. Von dort faehrt eine Seilbahn gefuehlt senkrecht nach oben. Angeblich gibt es auch einen Wanderweg, aber der scheint wohl ohne Haken und Talkum nicht zu bewaeltigen sein. Oben angekommen, stand ich in den Wolken und vor mir trat ein grosses, weisses Gebaeude aus den Nebeln hervor. Die Kirche des gefallenen Jesus! Entweder ging es in dem mit schmalzigem Keyboard begleitetem Gottesdienst darum, dass sich Jesus kurz vorm Kreuz mal hingepackt hat, oder es war die Kirche der kolumbianischen Schadefreunde: "Eh Jesus, jetzt biste hier oben uffm Montserrat. Nu sieh zu, wiede wieda runterkommst. Nuescht mit 'I believe, I can fly'! *schubs*". Nach Bohnen mit Rindfleisch genoss ich jedenfalls jenen am Anfang beschriebenen herrlichen Blick ueber Bogotá und wurde danach wieder freundlich mit nach unten genommen, denn ich hatte etwas, was Jesus wohl nicht hatte: Eine Rueckfahrkarte!

Wieder unten angekommen trieb es mich zurueck nach La Candelaria. Auf dem Weg dahin machte ich noch einen Abstecher in die gemuetlich am Fusse des Cerro gelegene Quinta de Bolívar, dem Rueckzugsort des Liberadors. Ich sah, wie El Liberador zu essen, zu schlafen und zu baden plegte und genoss danach einen Rundgang durch den kleinen, aber schoenen Garten des Hauses. Nun aber wirklich fertig, stoppte mich eine Militaerkontrolle. Vermutlich gefiel einem zweiten Soldaten mein leicht verwundertes Grinsen nicht, so dass er mich direkt im Anschluss an den ersten Soldaten nochmal durchsuchte und abtastete. Mein Grinsen kam aber daher, dass ich inzwischen gelernt hatte, wo man kontrolliert wurde, passiert was. Also folgte ich der groessten Kontrolldichte bergauf und fand so eine Freiluftbuehne oberhalb der Stadt. Dort sassen Rastafari vom laessigen 2-Dreadlocks-Look bis hin zum komplett gestylten Super-Revoluzer-Look mit Militaerjacke, Fidel-Castro-Bart, El-Chefe-Pornobrille und Jamaica-Adidas. Alle rauchten viel Zeug und gingen wie ich die naechsten 4 Stunden zu 3 Bands in Stil von "Lex Barker Experience" ab. Sehr cool. Kurz vor Ende der Voodoo Soldiers trollte ich mich dann bergauf. Als ich dann die Strasse in Richtung La Candelaria hinunter lief, traf ich auf eine Menge am Strassenrand abgestellter Taxis. Erst dachte ich an eine Demo, oder an jemanden, der wegen Zecheprellens aufgeknuepft werden sollte. Aber weit gefehlt! An Strassenrand stand an einem Campingtisch ein Priester in vollem Ornat, der gerade das Abendmahl an die etwa 20 Taxifahrer verteilte. Aber warum am Strassenrand? Hatten diese Taxifahrer in der Bewerbung faelschlicherweise Atheist angekreuzt, oder hatten sie alle einen Pilgerhintergrund? Ich werd es wohl nie erfahren.

Kurz darauf erreichte ich jenes Internetcafé, aus dem ich euch gestern schrieb. Danach liess ich mich noch nebenan bei einer Pizza ums Wechselgeld bescheissen und entdeckte, dass ich mir einen gehoerigen Sonnenbrand eingehandelt hatte. Gluecklich, gestern doch bis 21Uhr wachgeblieben zu sein, rollte ich mich in meine Bettdecke und schlummerte friedlich ein, da meine Nachbarsrussen heute wohl auswaerts feierten.

Und von dem Tag heute erzaehl ich euch ein Andermal.Fuer alle, die hier noch wach und dabei sind, spreche ich noch das Wort zum Sonntag: "Liebe deinen Naechsten, es sei denn, er ist kolumbianischer Pizzahaendler!", und wuensch euch noch nen schoenen Tag. Hasta luego und carpe diem,

Euer Stefan